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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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gemacht und in Gedanken mit dem Ast gesprochen. Dir von ihm gewünscht, dass er Hannes und Tanja auseinanderreißt und dich hinabstößt in den Teich: Den ganzen Tag, hast du dir vorgestellt, hätten die beiden dich im Moor gesucht. Jetzt ziehen sie dich heraus und betten dich ins Moos, deinen Körper in seiner Haut aus Schlamm. Tanja legt dir die Hände unter den Kopf, und Hannes, weil der in der Neunten schon den Erste-Hilfe-Kurs absolviert hat, erst sein Ohr auf deine Brust, dann seinen Mund auf deinen, um dich zu beatmen. Du spuckst Wasser, kommst langsam wieder zu Bewusstsein, blinzelst und siehst Bilder, die du nicht in Zusammenhang bringst: erst Hannes’ fragendes Gesicht, dann das von Tanja, dazwischen einen schmalen Streifen Himmel, von dem gleichen fremdartigen Glanz wiedie vier Augen, die auf dich herabblicken. Das Licht darin ist schon ohne Helligkeit, die Nacht hat sich eingenistet, und etwas anderes, noch Dunkleres, das du nicht verstehst. Sie schauen dich an, als wüssten sie mehr als du, hätten in der Zeit, während du ohnmächtig warst, etwas über dich in Erfahrung gebracht, was sie nun gegen dich auftrumpfen lässt.
    Hat Hannes ihr von der Sache an der Jauchegrube erzählt? Er war damals plötzlich neben dich getreten, mit der Schaufel in der Hand. Der Augustnachmittag, erinnerst du dich, war gleißend und ganz ohne Wolken gewesen. Auf dem Heimweg hattest du hinter den Ställen das klägliche Geheul gehört, das anders klang als am Schlachttag, dünner, verzagt, nicht von Schweinen, mehr wie von gequälten Kindern, die man anherrscht, in ihrem Schmerz nicht zu weinen. Du bist zwischen den Silos hindurch zum Becken geschlichen. Die vier Kätzchen zappelten in der Jauche, ihre Mutter lief am Rand auf und ab, setzte immer wieder zum Sprung an und schrie. Du wusstest sofort, was geschehen war: Stoppelkatzen nennen sie den zweiten Wurf der abgemagerten Tiere, die keinem gehören und immer weglaufen, wenn man sich ihnen nähert. Nur der Knecht, den sie gewohnt sind, kommt bis auf einen Meter an sie heran. Lamberts Hof ist voll von diesen Reißauskatzen, die zweimal im Jahr in den Ställen jungen. Den Maiwurf lässt der Knecht meistens leben, damit es im Herbst genug Mäusefänger gibt, die Stoppelkatzen aber, die Ende Juli oder Anfang August geboren werden, zur Zeit der abgeernteten Felder, Stoppelfelder, kommen gleich vor die Schippe oder in die Grube, weil sie, wie du den Knecht einmal hast sagen hören, nichts werden. Wenn der Herbst früh hereinbricht, schaffen sie es oft nicht, werden krank, verkriechen sich in die Radkästen der Landmaschinen und machen nur Scherereien. Ende August, zu deinem Geburtstag, sind die Jungtiere schon ein paar Wochen alt. Sie tollen im Dreck hinter den Ställen, tanzen drollig und tapsig um ihr eigenes Grab.
    Der Himmel darüber war blank, nichts darin, was du hättest beschreiben können, keine Wolke, kein Zeichen, dein Blick prallte zurück wie von einem Spiegel. Der Schrei ist dir im Hals steckengeblieben. Du hast versucht, die Kätzchen mit dem Brett, das auf dem Abwasser trieb, herauszufischen, doch sie glitschten ab. Eins war schon zu weit draußen, obwohl du dich auf dem schmutzigen Betonrand weit nach vorne gebeugt hast; es plinste ein letztes Mal und ging unter. Die Mutterkatze, die unter einen Tank gehuscht war, kam zurück und sträubte das Fell, angriffsbereit, als hättest du ihr Junges soeben ertränkt. Da standen neben dir plötzlich die Stiefel. Hannes packte dich am Kragen und hievte dich hoch. Du wolltest etwas sagen, irgendetwas zu deiner Rechtfertigung stammeln, doch nicht einmal ein Stottern gelang; da war plötzlich noch ein anderes und neues Gefühl in all dem Chaos, Aufregung oder auch Erregung, fast eine Art Nervenkitzel: Hannes im Overall, mit der Schaufel in der Hand, sein fahlhäutiges Gesicht von der Stallarbeit oder einem plötzlichen Ärger gerötet, die eng beieinanderstehenden Augen wie eine Klammer um dich herum; du mit dem Unterarm voll Schweinekot und einem Schrei in der Kehle, von dem dir aber nur ein h-Hoppla! entfuhr, als er dich wegstieß und du rückwärts gegen den Tank getaumelt bist. Wegen des sanften Anlauts war es das einzige Wort, das dir in deinem Schrecken gelang, hoppla!, wie ein Mädchen, das über seinen Rock stolpert, und die Katzen schrien in Todesangst.
    Hannes äffte dich nach, mit weibisch verstellter Stimme. Besser du kapierst es gleich, sagte er und zog den Reißverschluss auf. Du weißt bis heute nicht, was er

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