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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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damit gemeint hatte; es war, zusammen mit dieser Geste, ein Satz, der alles und nichts bedeutete, voller Andeutungen war, die dir das Blut ins Gesicht jagten, doch zugleich kalt und beschämend wie sein Blick, der dich dabei traf und deine Augen niederzwang, erst hin zu den zappelnden Tieren, dann auf das Geschlecht in seiner Hand. Er zielte nach der Mutterkatze, die mit steilem Busch abzog, dann in die Grube. Du wolltest dich wegdrehen, warst jedoch vom Hals abwärts wie gelähmt, der Abscheu zerrte dich in die eine, die Neugierde in die andere Richtung. Der Pinkelstrahl war aus irgendeinem Grund zweigeteilt, eine Hälfte ging nach links, die andere geradeaus, die Kätzchen traf er nicht. Sie sind trotzdem untergegangen, eins nach dem anderen. Da bist du mit geballter Faust auf ihn los, obwohl du wusstest, dass du kaum eine Chance gegen den Sechzehnjährigen haben würdest, der einen Kopf größer ist als du und drahtig von der Hofarbeit. Du hast dich in seinen Latz verkrallt und deinen Kopf gegen seine Brust gerammt, während dir Laute über die Lippen platzten, die nicht viel anders klangen als das Todesgewimmer der Katzen. Er wehrte sich halbherzig, schien kaum Kraft dafür vergeuden zu wollen, spielte nur ein wenig mit dir, was dich noch mehr anstachelte. Du schlugst auf ihn ein, hörtest deine Fausthiebe dumpf auf seinem Brustkorb dröhnen, sein Bauch aber war weich und nahm deine Schläge auf, er machte sich nicht einmal die Mühe, die Muskeln anzuspannen. Der Blaumann roch nach Stall und billigem Deo, als er dich in den Schwitzkasten nahm, der dir zu lasch vorkam, überhaupt der ganze Angriff linkisch und lässig, wie ein kumpelhaftes Umschultern. Es wareher die Wucht deiner Gegenwehr, die dich in die Knie zwang. Irgendwo in deinem Körper knackte es, ein mehr fühl- als hörbares Geräusch aus dem Innern, das die Stille zerriss; auch das letzte Kätzchen war nun weg. Er ließ für einen Augenblick locker und starrte dich an, ein Blick, der, so glaubtest du, dir etwas stecken wollte, was du aber nicht verstandst. Plötzlich das unerträgliche Gefühl von Hitze im Gesicht, als stündest du nah an einem Feuer. Da hatte er auch schon wieder zugepackt. Du spürtest seine Hände an deinem Hals, die ein Würgen mimten, dann zwischen den Knien seinen Stiefel, der dir die Beine wegzog, zuletzt, als du an ihm herunterrutschtest, für den Bruchteil einer Sekunde die Spitze seines Geschlechts, eingequetscht im Reißverschluss.
    Draußen in der Ebene hörtest du die Kraniche schnarren. Sie waren dieses Jahr früh aus dem Norden gekommen, früher als sonst, es war noch nicht September. Die Rufe hoben trompetenartig an, kamen näher, wurden lauter, als würden die Vögel dich auslachen, weil du wieder nicht protestiert, deinen Schrei nur abermals hinuntergeschluckt hattest. Als du an Hannes hochblicktest, sahst du den hellen Streifen Haut im Hosenschlitz und weit über seiner jetzt rötlich flackernden Haarmähne das Geschwader, die schwarzen Vogelleiber in einer Zeile hintereinander wie eine rätselhafte Schrift. Du konntest nicht entziffern, was sie dir sagen wollte. Der Himmel war hoch und fast weiß, hoch und weiß vor Leere, eine Blöße, die in deinen Augen schmerzte. Anfang September, wenn der Nebel aufsteigt, ziehen die Flugkeile der Graugänse vorüber, die in ihr Winterlager aufbrechen. Sie schweben als unscharfe Konturen im Dunst, tauchen in eine Lücke Blau und werfen flüchtige Schatten. Ehe du aufgeschaut hast, sind sie schon wieder verschwunden. In diesen Spalten zwischen dem Nebel und einem hohen, wie weltabgewandten, nicht mehr zur Erde, sondern ins All hinausstrahlenden Licht ist kein Sommer mehr und noch nicht Herbst. Es sind die seltenen Augenblicke einer fünften oder noch ferneren, noch fremderen Jahreszeit. Die Graugänse fliegen weg in den Süden, die Kraniche kommen von Skandinavien und rasten auf den Feuchtwiesen. Das Schnattern der Gänse geht in das Schnarren der Kraniche über, fast nahtlos wie der Nebel ins Licht. Anfangs hast du ihre Laute verwechselt, sie klingen ähnlich. Doch die Rufe der Kraniche sind länger und dunkler, nicht so aufgeregt, gezielte, aufeinander abgestimmte Warntöne mit traurigem und abgeklärtem Echo, als wüssten die Vögel Bescheid; im Norden, dort, wo sie herkommen, hatten sie bereits den ersten Frost. Die Graugänse lachen noch, die Kraniche spotten schon. Wenn ihre keilförmigen Schwärme über die Ebene ziehen, ist der Sommer zu Ende, und die Stoppelkatzen sind

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