Moorehawke 01 - Schattenpfade
dumpfen Schlag. Sie horchten angestrengt. Dann schoss Razis große Gestalt gebeugt an der Außenmauer des Gebäudes entlang und verschwand um die Ecke.
Wynter wandte sich besorgt zu Christopher um. »Los!«, zischte sie und gab dem Pferd einen Klaps, dass es einen Satz nach vorn machte.
Endlich fügte sich Christopher und trieb die unruhige Stute an. Mit den drei anderen Tieren im Schlepptau setzte sie sich in Trab. Wynter trat zur Seite, um das schwer bepackte Maultier vorbeizulassen, und sah dem Tross nach, bis er am Ende der Stallungen abbog und außer Sichtweite war.
Sie sah den Staub der Pferdehufe bleich in der Luft schweben, dann rannte sie plötzlich hinterher.
Am Rande des Reitplatzes folgte sie nicht dem breiten Pfad, sondern lief zwischen den Scheunen hindurch, sauste über die Koppeln und quetschte sich durch ein Loch in der Eibenhecke. Durch die Gärten eilte sie – ihre Füße flogen nur so durch die Dunkelheit, fanden ihren Weg blind -, bis sie endlich auf den breiten Hauptweg und die Kiesauffahrt traf, die zum großen Tor führte.
Christopher näherte sich bereits der Burgmauer, seine Pferde und das Packmuli machten gefährlich viel Lärm in der Stille des Morgens. Als er den großen Torbogen erreichte, trat ein Wachsoldat vor und forderte Christopher vernehmlich auf, seine Papiere zu zeigen. Christopher beugte sich nach unten, und der Soldat streckte ihm die Hand entgegen. Lange Zeit geschah nichts, außer dass sich Christopher verstohlen im Sattel umdrehte und zurückblickte; Wynter widerstand dem Drang, den Arm zu heben. Da sagte die Wache etwas, und Christopher wandte sich wieder nach vorn.
Plötzlich wirbelte sie erschrocken herum, als jemand von hinten über den Kies gelaufen kam. Es war Razi. Atemlos hielt er neben ihr an und klammerte sich an ihre Schultern, zusammen beobachteten sie, wie der Soldat in das Wachhäuschen ging. Ein Augenblick quälender Stille folgte, dann wehte der Klang der schweren Ketten durch die Morgenluft heran. Der Schatten unter dem Torbogen wurde von einer dünnen grauen Linie durchschnitten, als sich die große Flügeltür öffnete. Christophers Umriss zeichnete sich im dämmrigen Licht ab, er trieb seine Pferde durch das Tor und hinaus ins Freie. Bald fiel er in einen schnellen Trab, und Razi und Wynter konnten ihn bereits den Hügel hinauf auf die Baumgrenze
zureiten sehen, als sich das Tor langsam wieder schloss. Er hatte die Burg hinter sich gelassen.
Lass ihm nichts zustoßen, betete Wynter inständig. Bitte, lass sie ihn nicht einfangen .
Razi riss den Blick von Christophers Rücken los und betrachtete seine Hand, die auf Wynters Schulter ruhte. Mit gerunzelter Stirn legte er den Kopf schief. Dumpf schlug das Tor zu. Der Himmel über den Bäumen schimmerte im blassesten Zitronengelb, die Hähne im Hof begannen gerade zu krähen. »Wynter«, fragte Razi leise, »ist das nicht Christophers Jacke?«
Der verdrehte Mann
Z erstreut zupfte Wynter an dem dunklen Stoff, strich mit den Finger über die hölzernen Knöpfe, zog den Kragen hoch. Gewiss besaß Christopher nur diese eine Jacke. Fast tat es ihr leid, doch sie spürte auch eigennützige Freude, weil sie dieses kleine Stück von ihm behalten durfte. Es trug noch seinen Duft und seine Körperwärme in sich.
Besorgt blickte sich Razi um, während die Baumstämme in der immer helleren Morgenluft klare Umrisse annahmen. Er verstärkte seinen Griff um Wynters Schultern und zog sie in die tiefen Schatten der Bäume. »Schwester«, flüsterte er, »ich bringe dich jetzt besser in deine Kammer zurück. Hier bist du nicht sicher.«
Wynter nickte abwesend, sie war im Geiste immer noch bei Christopher. Doch als Razi sie auf dem Absatz umdrehte und zurück zum Palast führen wollte, geschah zweierlei, was sie abrupt aus ihren Träumereien aufschrecken ließ: Erstens bemerkte sie ein flüchtiges Huschen zwischen den Bäumen. Rasch wandte sie die Augen ab, ehe Razi ihrem Blick folgen konnte. Ihr Herz hämmerte erwartungsvoll.
Und als Razi ihr seine starke Hand auf den Rücken legte und murmelte, sie müssten sich beeilen, standen ihr zweitens die letzten Tage lebhaft wieder vor Augen: Christopher war zu seinem großen Verdruss in seinem Quartier eingesperrt,
war in jeder Hinsicht von Razi abhängig gewesen – jede Mahlzeit musste er sich bringen lassen, ja, er hatte nicht einmal seine eigene Heimreise vorbereiten dürfen. Durch seine Bemühungen, für Christophers Sicherheit zu sorgen, hatte Razi ihn im Grunde
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