Moorehawke 01 - Schattenpfade
bevor sie hinausschlüpften und sich im Schatten der Mauern vortasteten, bis sie in die Stallungen gelangten. Wynter wünschte, sie hätte dunklere Kleidung gewählt; in ihrem weißen Nachthemd und Mantel leuchtete sie wie ein Mondstrahl.
Während Christopher seinem Pferd das Zaumzeug anlegte, behielt sie die Gasse im Auge. Das stämmige kleine Tier hatte freudig gewiehert und geschnaubt, als sie eintraten, und Christopher schnalzte leise und hauchte besänftigende Laute. Wynter sah sich zu ihm um. Seine Handgriffe waren schnell und geübt. Das Pferd nagte an seiner Robe und knabberte an seinem Haar, schnüffelte zärtlich in seinem Nacken, während er ihm die Zügel um den Hals legte. Sanft kraulte er die Stute zwischen den Augen und murmelte ihr etwas auf Hadrisch ins Ohr. Dann führte er sie zu der Stelle, an der Wynter durch das Stalltor hinausspähte. Gemeinsam bezogen sie dort Position und warteten unruhig.
Es war sehr still, der Himmel verblasste langsam. Hinter ihnen stampfte Christophers Pferd leise und blies ihnen seinen heißen Atem über den Rücken. Die Luft war noch kühl, und Wynter fröstelte in ihrem dünnen Mantel. Sie schlang die Arme fest um sich und hüpfte von einem Fuß auf den anderen.
Wo bleibt denn nur der Packesel?, dachte sie. Wo sind die anderen Pferde?
Razi hatte versprochen, dass alles bereitstünde, er hatte Christopher aufgetragen, genau hier zu warten. Christopher
musste unverzüglich aufbrechen. Wynter blickte hinauf zu den Dächern der Scheunen. Sie zeichneten sich bereits deutlich gegen den Himmel ab, unerbittlich graute der Tag. Christopher musste unbedingt vor Sonnenaufgang losreiten, musste die Wachen am Tor überraschen, seinen Passierschein aushändigen und fort sein, bevor irgendjemand auch nur ahnte, dass er seine Gemächer verlassen hatte.
Jonathon würde jeden Schritt seiner Reise überwachen wollen, um so lange wie irgend möglich Macht über Christopher zu behalten. Schon bald würden die Wachen an seine Tür hämmern, um ihn zu den Stallungen zu geleiten. Allzu lange konnte es nicht dauern, bis sie entdeckten, dass sein Quartier verlassen war, und bis dahin musste Christopher über alle Berge sein, sich auf den kleinen, gewundenen Stra ßen gen Süden verlieren. Nun begann Wynter wirklich zu zittern, die kühle Luft und ihre wachsende Furcht ließen sie bis auf die Knochen frösteln.
Ohne ein Wort zu sagen, legte Christopher ihr von hinten seine Jacke um die Schultern. Völlig unerwartet fand sich Wynter von seinem würzigen Duft und der köstlichen Wärme seiner Haut umhüllt. Sie wollte sich schon bedanken, da zog er sie an sich, schlang Arme und Jacke von hinten fest um ihren Körper und drückte sie vorsichtig. Zart legte er das Kinn auf ihren Scheitel und nahm die Beobachtung der Gasse wieder auf.
Die Zärtlichkeit seiner Geste überwältigte Wynter, und zu ihrem eigenen Entsetzen schluchzte sie laut auf. Überrascht drückte Christopher sie noch fester und sagte: »Ach, Wynter.« Die stille Fürsorglichkeit in seiner Stimme ließ etwas in Wynters Brust bersten, und die Tränen, die schon den ganzen Morgen hinter ihren Augen brannten, bahnten sich endlich ihren Weg an die Oberfläche. Sie hob die Hände vor das Gesicht,
wollte sich seiner Umarmung entziehen, doch Christopher hielt sie nur noch fester, und während ihr die Tränen über das Gesicht strömten und die dunklen Ärmel seiner Robe durchweichten, wiegte er sie sacht hin und her.
Und er ließ sie nicht mehr los. Mit sanftem, beharrlichem Druck presste er sie an sich. Ganz plötzlich stellte Wynter fest, dass sie nicht mehr kämpfen konnte, sie spürte keine Kraft zur Täuschung mehr in sich. Also gab sie ihr Ringen auf und ließ sich von ihm in den Armen halten.
»Schon gut«, raunte er. »Alles ist gut …«
Wynter legte den Kopf in den Nacken, lehnte sich an seine Schulter und ließ den Tränen freien Lauf.
Christopher drückte seine Wange gegen ihre. Seine Haut fühlte sich glatt und kühl auf ihrem Gesicht an. »Schschsch«, machte er. »Schsch. Ist schon gut, mein Liebling. Ich verspreche es dir. Alles wird gut. Sorge dich nicht …«
Sie drehte sich in seinen Armen um, schob ihr Gesicht in die warme Haut seines Halses, schlang die Arme um seine Taille und zog ihn fest an sich. Immer noch flüsterte er ihr ins Ohr – Sorge dich nicht, alles wird gut -, und dann wisperten seine Lippen in ihrem Haar und an ihrem Hals, murmelten Tröstliches. Sie sog seinen Duft ein, ihre Tränen trockneten
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