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Moorehawke 01 - Schattenpfade

Moorehawke 01 - Schattenpfade

Titel: Moorehawke 01 - Schattenpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kiernan Celine
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hatte sie große Angst vor Jonathons Männern, und die Vorstellung, ihrem Zorn zum Opfer zu fallen, erschreckte sie zu Tode. Immer noch war es sehr kalt. Sie knöpfte Christophers Jacke zu.
    Endlich fand sie einen guten Platz – ruhig und abgeschieden, aber doch offen genug, damit sich niemand unbemerkt anschleichen konnte. Sie klemmte sich die Hände unter die Achseln und wartete unter dem gelben Taubenschlag. Lange musste sie sich nicht gedulden. Anmutig kam die orangefarbene Katze aus der Schwärze der Eiben geschlichen und blieb im grauen Dunstschleier des Morgenlichts seufzend stehen.
Sie gähnte träge, ihr missbilligendes Schniefen deutete an, dass Wynter gerade ein ganz besonders ersprießliches Nickerchen unterbrochen hatte und sie doch bitte endlich zur Sache kommen sollte.
    Du hast doch mich aufgesucht! , dachte Wynter gereizt. Aber sie beherrschte sich und schwieg, bis die Katze schließlich die Augen verdrehte und mit dem Kopf zur Kastanienallee deutete.
    »Der Geist wartet«, sagte sie. »Er kann sich nicht lange aufhalten. Ich schlage vor, dass du dich beeilst.«
    Wynter unterdrückte einen Fluch und konnte sich nur mit Mühe davon abhalten, der Katze einen saftigen Tritt zu versetzen. So schnell sie konnte, rannte sie zu Rory Shearings Allee.
    »Rory!«, zischte sie und kam schlitternd auf dem laubbedeckten Pfad zum Stehen. »Rory! Ich bin hier!« Wenn sie mich erwischen, bringen sie mich um! Ich komme an den Galgen! Ich werde gehenkt! Trotzdem rief sie erneut: »Rory!«
    Erst passierte gar nichts, doch dann spürte sie es – dieses besondere Prickeln auf der Haut, die eigenartige Ausdehnung des Lichts, die eine Erscheinung ankündigte. Rory nahm unmittelbar vor Wynter Gestalt an, erschrocken taumelte sie ein paar Schritte rückwärts. Er war in einem fürchterlichen Zustand. »Rory!«, keuchte sie betroffen.
    Er schwankte, offenbar fiel es ihm schwer, sie richtig zu sehen. Stücke von ihm fehlten, sie waren gänzlich verblasst, einfach fort, und was noch von ihm übrig war, flackerte und verlor immer wieder an Schärfe. Er war in sich zusammengesunken und schlingerte von einer Seite zur anderen, bis er endlich Gewalt über seine Geisterbeine gewann. Immer wieder schweifte sein Blick ab, blinzelnd bemühte er sich, Wynter anzusehen. Endlich schien es ihm zu gelingen. »Kind«,
sagte er. Seine Stimme klang wie ein Mottenflügel auf einer Fensterscheibe. »Ich suche deinen Vater …«
    »Nein, Rory!«, rief Wynter eindringlich. »Mein Vater ist zu krank. Du musst mit mir sprechen! Verstehst du? Überbring mir die Nachricht!«
    Verunsichert zwinkerte Rory. Er verlor den Faden, seine Augen wanderten nach links, dann senkten sich die Lider langsam, und der Kopf fiel herab. Seine Umrisse verblassten und verloren sich.
    »Rory!« Wynter klatschte laut in die Hände.
    Mit einem Ruck kam Rory wieder zu sich und sah sie an. »Er will die Reise nicht antreten!«, rief er, als erwachte er aus einem grausigen Traum. Er sah Wynter direkt in die Augen, und sie schnappte nach Luft, drückte den Rücken so gerade durch, dass es schmerzte. In seiner Verzweiflung strengte sich Rory zu sehr an, und es war, als ströme kaltes Wasser durch Wynters Körper und gefriere in ihrem Inneren. Sie vergaß zu atmen, ihr Herz stotterte. Mühsam stieß sie das Wort »Halt!« hervor und versuchte, die Hand zu heben.
    »Er will die Reise nicht antreten …«, wiederholte Rory hoffnungslos, dann verschwand er völlig, da seine Kräfte ihn verließen. Aus seinem schrecklich durchdringenden Blick entlassen, sank Wynter auf Hände und Knie und bemühte sich keuchend, Luft in ihre gefrorenen Lungen zu pressen. Einige Schritte entfernt wurde Rory schwebend wieder sichtbar, nun aber schwach und eingefallen. Er sah sie nicht an, ließ sich einfach nur durch die Schatten treiben, die Arme um den Bauch geschlungen, den Kopf gesenkt.
    Plötzlich zischte die Katze hinter Wynter scharf: »Achtung, Soldaten! Sie sind fast da!«
    Ohne zu überlegen, krabbelte Wynter seitlich vom Pfad herunter. Sie sah noch, wie sich Rory auflöste, warf sich auf
den Bauch und kroch durch das feuchte Laub, bis sie unter den knorrigen Zweigen und dem dichten Blattwerk eines Lorbeers zu liegen kam. Sie dankte Gott für Christophers Jacke; ohne sie hätte Wynter im Zwielicht des Unterholzes weiß aufgeleuchtet. Hastig schob sie ihre Beine noch tiefer unter den Strauch, um die helle untere Hälfte des Nachthemds und Mantels zu verstecken. Dann drückte sie das Gesicht

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