Moorehawke 01 - Schattenpfade
am Stoff seiner Robe, und seine Worte verloren ihre Bedeutung. Der Klang seiner Stimme war das Einzige, was noch zählte.
Sie schmiegte ihre Wange an die kühle Glätte der seinen. Christophers Hand war nun in ihrem Haar vergraben, umfasste ihren Hinterkopf, seine Lippen lagen auf ihren. Weich – unglaublich weich – bewegte sich sein Mund. Sie presste sich in seinen Kuss empor, öffnete die Lippen, und für einen kurzen Moment gab es nichts anderes auf der Welt. Sein warmer Mund auf ihrem, sein Duft, die Sicherheit seiner Arme.
Ein zaghaftes Hüsteln schreckte sie auf, sie lösten sich voneinander, und im selben Augenblick schob Christopher Wynter hinter sich und tastete nach seinem Messer, ein Knurren in der Kehle. Doch es war nur Marcello Tutti, der mit weichem Blick und rosigen Wangen das Packmuli und die beiden Pferde über die Gasse zu ihnen führte und sich alle Mühe gab, so zu tun, als hätte er ihren Kuss nicht bemerkt.
Wynter versteckte sich kurz hinter Christopher, wischte sich die Augen trocken und kämpfte gegen die Schwäche in ihren Knien an. Christophers Jacke drohte ihr von den Schultern zu rutschen, geistesabwesend schlüpfte sie in die Ärmel. Sie hörte Marcello flüstern.
»Buongiorno, Christopher, mi dispiace, ma …«
Leise entgegnete Christopher: »Ciao, Marcello. Non importa... « Während sie miteinander sprachen, griff Christopher hinter sich und nahm Wynters Hand. Sie trat an seine Seite, und so standen sie dicht nebeneinander, Hand in Hand, während Marcello die Pferde zu ihnen führte.
Der kleine Italiener verneigte sich mit sanftem Blick vor ihr. »Buongiorno, Signorina della Protezione …«
Sie lächelte schwach und senkte den Kopf.
»Marcello« , fragte Christopher. »Dov’é Signore Razi?«
Der Angesprochene breitete die Arme aus und zuckte mitfühlend die Achseln. »Es tut mir leid, Christopher. Il Signore, er kann sich nicht freimachen … Sein Vater, wisst Ihr. Er hat ihn … wie sagt man … in Auge?«
Wynters Herz zog sich zusammen, und Christopher verzog traurig und enttäuscht das Gesicht. Zögernd wandte er kurz den Kopf ab, nickte dann mit zusammengepressten Lippen. »Da kann man nichts machen«, murmelte er.
»Ich kann auch nicht bleiben«, bedauerte Marcello. »Die Wachen, sie beobachten alle Verbündeten von Fürst Razi, um zu
verhindern Eure Flucht. Muss ich fort.« Er reichte Christopher das Seil am Zügel des vordersten Pferdes und verneigte sich. »Passt gut auf, Christopher. Gute Reise.« Leise entfernte er sich über die Gasse, wandte sich nochmal um und eilte davon.
Hand in Hand verharrten Christopher und Wynter und starrten in die Leere, wo eben noch Tutti gestanden hatte. Die Tiere tänzelten sanft auf dem engen Raum. Endlich kam Wynter wieder zu sich und drehte sich zu Christopher um, die Hand auf seine Brust gelegt. »Du musst jetzt gehen!«, drängte sie und sah ihm in die Augen. »Die Hähne werden bald krähen!«
Bedächtig, wie im Traum, drehte er den Kopf und schien ebenfalls zu sich zu kommen. Rasch knüpfte er das Seil der Packtiere am vorderen Pferd fest. Wynter rieb sich unruhig die Arme, beobachtete angespannt die Gasse und schnaufte ungeduldig, als Christopher nicht sein Pferd bestieg, sondern stattdessen eilig zum Scheunentor lief und mit den Fingern ein Loch in die Erde grub.
»Christopher …«, zischte sie, hielt aber inne, als er das letzte Stück Kuchen aus seiner Tasche holte und es in die flache Grube legte. Vorsichtig häufte er Erde darauf und klopfte sie fest. Dann senkte er den Kopf, bewegte die Lippen und richtete sich wieder auf.
»Hier«, sagte er, kam rasch auf sie zu und zog ein Bündel unter seinem Hemd hervor. Er drückte es ihr in die Hände, und sie betrachtete es überrascht. Es war ein Blatt Papier, klein gefaltet, steif und unförmig. »Ich wollte es dir eigentlich schon in euren Gemächern geben. Es ist ein Lageplan der geheimen Gänge.« Verwundert sah sie ihn an. »Vielleicht brauchst du ihn«, erklärte er. »Doch du darfst ihn auf keinen Fall unterwegs benutzen. Präge dir deinen Weg vorher ein, in den Gängen selbst ist es zu dunkel, um die Karte zu lesen.«
Sie sahen einander an, Christophers Blick war ernst. Wynter presste das Papier an die Brust. Dann schob sie ihn sanft zu seinem Pferd. »Geh«, sagte sie. »Geh.«
Mit einem leisen, verzweifelten Aufschrei wandte sich Christopher von ihr ab, stellte einen Fuß in den Steigbügel und sammelte hüpfend Schwung für den Aufstieg in den Sattel.
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