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Moorehawke 01 - Schattenpfade

Moorehawke 01 - Schattenpfade

Titel: Moorehawke 01 - Schattenpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kiernan Celine
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Füße des Verwundeten schleiften durch das Laub und hinterließen zwei Furchen auf dem Pfad durch die Bäume.

    Bald waren die Soldaten außer Sichtweite, doch es fiel Wynter schwer, aus ihrem Versteck hervorzukriechen. Es kostete sie ungeheure Willensanstrengung, ihre Arme und Beine so aufeinander abzustimmen, dass sie vorwärtskam, und als sie sich endlich inmitten des Drecks aufsetzte, zitterten ihre Beine so heftig, dass sie kaum aufstehen konnte.
    Rory beobachtete sie von der Allee aus. Mit Blättern in den Haaren, Gesicht und Hände schmutzig, das Nachthemd lehmverschmiert und voller Moos, stand sie schließlich vor ihm. »Wo ist Alberon, Rory?«
    »Er, der es weiß … Der Verdrehte will die Reise nicht antreten. Er weiß noch nicht, dass er tot ist …«
    »Weiß nicht, dass er tot ist? Ist er ein Geist, Rory?« Sie überlegte. Manche Gespenster hatten einen stark begrenzten Wirkkreis. »Kann ich denn zu ihm gehen?«
    Rory wirkte unsicher. Er begann, dahinzutreiben, ohne die Füße zu bewegen – wie die Schirmchen einer Pusteblume im Wind. Er war so zart wie der Dunst um sie herum, schemenhaft und flüchtig. »Die anderen …«, raunte er. »Sie missbilligen …«
    »Wohin muss ich gehen, Rory? Um diesen Mann zu sehen?«
    Rory richtete den Blick über die Bäume hinweg auf einen Punkt, den Wynter nicht sehen konnte. »Die anderen …«
    »Ja, Rory. Die anderen missbilligen …« Wynter gab sich größte Mühe, nicht allzu ungeduldig zu klingen. Rory sah weiß Gott so aus, als hätte er einen hohen Preis für seinen Ungehorsam gegen die ›anderen‹ gezahlt – wer sie auch sein mochten. »Aber ich muss unbedingt mit ihm sprechen. Ich muss Alberon finden, Rory. Hilf mir!«
    Er wandte ihr seinen wirren Blick zu, und sie versuchte, ruhig zu bleiben, als er auf sie zuschwebte, forschend ihr Gesicht
musterte. Er kam sehr nahe, waberte wie eine spiegelnde Wasseroberfläche, und seine Züge kräuselten sich auf eine Weise, die nichts Gutes verheißen konnte.
    Können Gespenster sterben? Wenn ja, dann sieht es gewiss so aus.
    Rory hielt seinen Kopf ganz dicht vor ihren. Es war immer noch er, dieses sanfte, kluge, wehmütige Antlitz des Spielgefährten ihrer Kindheit. Doch aus dieser Nähe und unter seinem durchdringenden Blick spürte Wynter zum ersten Mal in ihrem Leben das Grab in ihm. Sie konnte es unter seiner Haut rumoren hören, unsichtbar zwar, doch für die Seele greifbar: Alles, was nach dem Tod mit einem Körper geschah, wand sich in ihm, und sie hatte das Gefühl, wenn sie nur genau genug hinsähe, könnte sie die Zersetzung erkennen, die unter der Oberfläche wütete.
    »Rory«, flüsterte sie entsetzt. »Was ist dir widerfahren?«
    »Ich werde sie aufhalten …«, seufzte er. »Während du mit dem Mann sprichst … doch ich kann sie nicht lange ablenken, und wenn ich dir zurufe, wegzulaufen, dann musst du weglaufen ! Schnell und weit. Verstehst du mich, kleine Moorehawke?«
    Wynter nickte stumm.
    Rorys Aufmerksamkeit verlor sich erneut, er wippte sanft wie ein Blatt auf einem Teich. »Heute Nacht«, murmelte er. »Wenn die Welt zur Ruhe gekommen ist … Ich werde dich dort treffen.«
    Schon verblasste er, und sie streckte erschrocken die Arme nach ihm aus. »Rory! Wo? Wo kann ich dich finden? Wo?«
    Er sammelte sich wieder und blickte sie überrascht an. »Im Verlies natürlich, mein Kind … Er will den Stuhl nicht verlassen … Er begreift nicht, dass er frei ist.«
    Jetzt endlich überspülte Wynter die kalte Woge der Erkenntnis.
Unwillkürlich trat sie zwei Schritte zurück, wandte den Kopf leicht zur Seite und kniff die Augen zusammen, um die grausigen Bilder abzuwehren. »Rory«, wisperte sie. »Meinst du etwa … Rory, ist es der Junge? Der Razi ermorden wollte?«
    »Der verdrehte Mann, Mädchen. Aber gewiss doch. Der Gefolterte.« Rory war sichtlich erschöpft, seine Stimme kaum noch zu hören. »Heute Nacht, wenn die Welt zur Ruhe gekommen ist, werde ich dort auf dich warten … Ich werde versuchen … die anderen … abzulenken.« Müde wandte er den Kopf ab und verblasste endgültig. Seine Worte klangen noch lange nach, wie es die Worte von Geistern häufig tun.
    »Und ich werde dir den Weg dorthin weisen«, ließ sich die Katze vernehmen.
    Wynter schrak zusammen, sie hatte nicht bemerkt, dass das Tier immer noch da war.
    Die Katze verengte die grünen Augen zu Schlitzen und verzog höhnisch das Maul. Abfällig sagte sie: »Beim Großen Jäger, Mädchen! Nun hör schon auf zu zittern! Du

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