Moorehawke 01 - Schattenpfade
Sicherheit, Razi? Wenn du erst unterwegs bist, wird es viel schwieriger, sie zu verstecken.«
Wieder gluckste er, hob den Kopf, schüttelte Lorcans Hand ab und setzte sich bedächtig zurück auf den Sessel. Seine Miene drückte Heiterkeit aus, er grinste sie breit an. » Ich habe sie ja gar nicht.« Er lachte über ihre erstaunten Gesichter. »Jetzt hört aber auf. Habt ihr wirklich geglaubt, ich würde meinen liebsten Freund ohne Papiere in die Welt hinausschicken? Ihn – einen gebrandmarkten Sklaven? Also bitte.« Immer noch grinste er fröhlich und breitete die Hände aus, als wollte er sagen: Ganz im Ernst, seid ihr wirklich so töricht? »Christopher hat sie!«, rief er, als Wynter und Lorcan ihn immer noch verständnislos anstarrten. »Sie sind in seiner Kleidertruhe. Wenn er sich das nächste Mal umkleidet, wird er sie finden.«
Lorcan schnappte nach Luft. Es war eine List! Eine verrückte, gefährliche, atemberaubende List. Und sie war geglückt. Doch nun hatte Razi seinen Vater überrumpelt; er musste so schnell wie möglich aufbrechen – bevor der gerissene König den Verdacht schöpfte, dass Razis Macht über ihn nichts als Schall und Rauch war.
Und aus ebendiesem Grund musste auch Wynter nun früher fortgehen. Mutlos sank sie auf Lorcans Bett. Razi beugte sich zu ihr und rüttelte an ihrem Knie, er ahnte nicht, welche Folgen seine verfrühte Abreise hatte. »Komm schon, Schwester«, sagte er. »Keine langen Gesichter! Es ist doch nur einen Tag früher.« Er grinste sie an, und sie wandte den Blick Lorcan zu, der sie mit betont ausdrucksloser Miene beobachtete. Seine Augen jedoch verrieten, dass er traurig war. Ein Tag weniger.
»Na dann.« Lorcan schüttelte sich. »Sollen wir einen Becher Wein trinken? Ich hätte auf jeden Fall gern einen Schluck!«
Nun lächelte er Wynter an und zuckte die Achseln. Was können wir tun? , bedeutete das. Was können wir schon tun? Lasst uns lachen und fröhlich sein, solange es noch geht. Morgen ist ein neuer Tag.
Razi kam auf die Füße und lächelte Lorcan hoffnungsfroh an. »Ich hole Eure Aufzeichnungen, Lorcan, ja? Darf ich?«
Der große Mann nickte zustimmend und deutete auf seine Truhe.
Razi ging vor Wynter in die Hocke und schüttelte sie erneut zärtlich. »Du, Madonna der Tränen? Willst du nicht einen Pagen nach Wein schicken?« Bitte, bitte, sagte sein verzweifeltes Lächeln. Lasst uns nicht traurig sein, nicht heute Abend. »Wynter?«, wiederholte er. »Etwas Wein?«
Sie riss sich aus ihren trübseligen Überlegungen und wandte sich seinen flehentlichen Augen zu. Überwältigt von Zärtlichkeit und Mitgefühl nahm sie Razis Gesicht in ihre Hände und küsste ihn, dann lehnte sie ihre Stirn an seine. Sie spürte seinen Atem durch ein unterdrücktes Schluchzen stocken, er versuchte, den Kopf zurückzuziehen. Doch sie verstärkte sanft den Druck ihrer Hände auf seine glatt rasierten Wangen und hielt ihn fest. »Bestimmt«, sagte sie, »möchtest du auch etwas Kuchen?« Sie sah ihm in die feuchten Augen.
»Ja«, erwiderte er etwas wackelig. »Kuchen wäre schön.«
»Marmeladentörtchen!«, krächzte Lorcan vom Bett aus.
»Igitt!« Wynter schüttelte sich in gespielter Abscheu. »Ihr Männer mit euren Süßigkeiten!«
Razi schob sie von sich fort und ging zu Lorcans Truhe, kniete sich davor und verharrte einen Moment reglos mit abgewandtem Gesicht, bevor er den Deckel aufklappte, um nach den Aufzeichnungen zu suchen.
Wynter blieb im Türrahmen stehen und sah sich nach den beiden Männern um. Lorcan schlug heimlich die Decke zurück
und tastete nach seinem Mantel. Er zwinkerte ihr zu und sagte lautlos: Ich stehe kurz auf . Sie schüttelte nur den Kopf, machte aber keine Anstalten, ihn davon abzuhalten. Schwerfällig setzte er die Füße auf den Boden und stützte sich auf dem Bett ab, dann sammelte er sich und warf sich Richtung Kamin. Razi schrie erschrocken auf, als der große Mann atemlos auf den Sessel am Feuer plumpste, und Lorcan lachte fröhlich.
Du großes Kind, dachte Wynter liebevoll und wandte sich zum Gehen.
Als es leise klopfte, erstarrten die drei zu Stein.
»Schick ihn bloß zum Teufel!«, rief Lorcan. »Wer das auch sein mag!«
Besorgt sah Razi Wynter an, die Papiere auf den Knien. Doch sie war fest entschlossen: Bote, Ratsherr oder Soldat – niemand bekäme heute Zutritt zu ihrem Quartier!
»Bleib hier«, flüsterte sie ihm zu und schlich leise zur Tür. Noch ein Klopfen, dieses Mal etwas lauter. »Wer ist da?«, fragte sie
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