Moorehawke 01 - Schattenpfade
die Abneigung in ihren Augen, und sie erkannte Unbeugsamkeit in seinen.
Hinter ihr rutschte Razi unruhig auf der Bank herum, doch Wynter sah ihn nicht an. Sie hielt den Blick fest auf Christopher gerichtet. Da legte er unvermittelt den Kopf schief und lächelte, Grübchen tauchten in den Mundwinkeln auf. Seine Augen funkelten launig, und unversehens fand sich
Wynter in einer Art Wettstreit wieder: Wer würde zuerst wegsehen?
Wie ist das passiert? , dachte sie verzweifelt. Die Lächerlichkeit der Situation machte sie beklommen. Wie konnte ich mich von diesem Tölpel so in die Ecke drängen lassen?
Immerhin war er doch nur eine der vielen Schmeißfliegen, die den Dunghaufen des Palastes umschwirrten. Ihn von Razi zu entfremden, sollte Wynter ein Leichtes sein. Nun aber war sie gefangen in einem kindischen Zweikampf, zu wütend und stolz, um klein beizugeben.
Razi räusperte sich vernehmlich. »Aber, aber …«, schalt er spöttisch, doch seine warme Stimme klang bekümmert.
»Wann zieht deine Truppe weiter?«, fragte Wynter kalt.
Verständnislosigkeit zeigte sich auf Christophers Miene, er schüttelte den Kopf und kniff die Augen zusammen. »Was meinst du damit?«
Sie deutete von oben nach unten auf seine Kleidung, wobei ihr Blick unbewusst der Geste folgte. Verflixt! Aber Christopher schien es nicht zu bemerken. »Du bist doch ein Gaukler, oder nicht? So ein Akrobat, oder vielleicht ein Musiker?«
Neben sich hörte sie Razi unterdrückt zischen, während Christopher von einer eigenartigen, kalten Reglosigkeit erfasst wurde.
»Christopher Garron ist mein Pferdearzt.« Razis Stimme klang jetzt hart und fremd. »In den dreieinhalb Jahren, die wir uns kennen, hat er mich mehr gelehrt, als ich je über Pferde und ihre Pflege zu lernen gehofft hatte.«
Dreieinhalb Jahre? So lange kannten sie einander bereits? Razis Körperbau nach zu urteilen, waren Pferde seine Passion geworden. Er und Christopher mussten demnach einen Großteil des Tages miteinander verbringen. Mehr als drei Jahre, erfüllt von gemeinsamer Arbeit, die sie liebten. Während ich
allein im dunklen Norden verfault bin . Nachdrücklich schob sie den Gedanken fort. Das war weder Razi noch ihr selbst gegenüber gerecht. Wollte sie ihm in all den einsamen Jahren einen Freund missgönnen? Hatte sie sich nicht selbst nach einem gesehnt? Nein , dachte sie. Ich habe mich nach meinem Zuhause gesehnt. Nach meinem Zuhause und nach Razi und Alberon, sonst niemandem. Und davon abgesehen – ich hätte eine bessere Wahl getroffen als diesen … diesen unheilvollen Nichtsnutz .
Noch während diese Gedanken in ihrem Kopf tobten, wurde ihr schmerzlich bewusst, dass der Hauptgrund, warum sie diesem Christopher Garron nicht vertraute, eben seine Freundschaft mit Razi war. Sie war so eifersüchtig auf ihn, dass sie ihm mit Freuden ein Messer ins Herz gerammt hätte.
Nun ergriff Christopher mit seinem singenden Nordlandakzent wieder das Wort. Seine Augen wirkten kalt, die Miene vollkommen ausdruckslos. Die Grübchen waren aus den Mundwinkeln verschwunden. »Du hast ganz Recht. Sehr gut beobachtet. Ich bin Musiker. Um Razis Pferde kümmere ich mich, weil ich gut darin bin und die Tiere liebe, nicht weil es meine innerste Leidenschaft ist. Ich bin der beste Musiker in den gesamten Nordländern. In Hadra, meiner Heimat, bin ich für meine Kunstfertigkeit auf Gitarre und Fidel berühmt.«
Viel später, als sie im Bett lag und einzuschlafen versuchte, würde sich Wynter der Art entsinnen, in der er das gesagt hatte, sein Blick wollte sie dabei einfach nicht loslassen. Ich bin Musiker. Nicht ich war oder früher einmal , sondern ich bin . Als brenne die Musik immer noch in seinem Inneren wie ein lebendiges Geschöpf, das eingesperrt war und nach einem Ausgang suchte, dem die Flucht aber nie gelang.
»Gleichwohl bin ich nicht maskiert. Ich brauche mich nicht als etwas zu verkleiden, das ich nicht bin, um mir Aufmerksamkeit
zu verschaffen.« Sein Tonfall war jetzt beißend, höhnisch musterte er ihre Tischlerkluft. »Und obschon ich weiß, dass es Männer gibt, die solcherart Spiele mögen, glaube ich doch nicht, dass unser lieber Freund hier dazugehört.«
Wieder stieß Razi ein leises Zischen aus. »Christopher …«, warnte er leise.
Doch da streckte Wynter ihre Hände aus, mit all den Knoten und Narben und Schwielen. »Nicht meine Kleider machen mich zu dem, was ich bin. Ebenso wenig ist es meine Nähe zum Thron, durch die ich mein Brot verdiene. Ich stehe auf eigenen
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