Moorehawke 01 - Schattenpfade
Füßen. Dies hier sind Handwerkerhände, sie sprechen für sich selbst.« Bei diesen Worten hielt sie ihm die Innenflächen ihrer Hände hin, und auch diese Geste sollte sie in der Nacht noch verfolgen. Warum? Warum hatte sie genau diese Gebärde gewählt, um ihren Wert unter Beweis zu stellen?
Christopher sah sie einfach nur weiter an, die grauen Augen undurchdringlich, die Miene nicht zu deuten.
»Du glaubst also, dass ich mir unseren gemeinsamen Freund zunutze mache«, sagte er kalt. »Ich kann dir versichern, dass das nicht der Fall ist. Zu dir mag diese hübsche kleine Farce von einem Leben ja passen, aber ich möchte genauso wenig ein Teil davon sein, wie eine Katze tanzen will. Ich …«
»Herrgott nochmal, es reicht!« Obwohl Razi leise sprach und nur sachte auf den Tisch schlug, machten die beiden bei seinem plötzlich scharfen Tonfall einen Satz. »Gleich stehe ich auf und lasse euch euer Revier auf mir markieren wie zwei Hunde! Wynter, du kannst mein linkes Bein bekommen, Christopher, du das rechte. Dann wissen wir alle, woran wir sind, und dieses verdammte … verdammte Anpirschen hat ein Ende!«
Hilflos betrachtete er abwechselnd die Streithähne. Seine Worte trafen den Kern der Sache; waren sie beide beschämt und sanken in sich zusammen wie Schweineblasen, aus denen man die Luft abgelassen hatte.
»Ich … ich will doch nur, dass ihr Freunde seid«, fügte er sanfter hinzu. »Ich möchte, dass ihr einander mögt. Können wir es nicht wenigstens versuchen?«
Wynter sah Christopher an. Aus seinem Blick sprachen Unsicherheit und Verletztheit, sie selbst empfand immer noch bittere Eifersucht und die nicht unbegründete Furcht, er könnte einen zerstörerischen Einfluss haben. Er hatte einen zerstörerischen Einfluss, zum Teufel! Doch um Razis willen erhob sie sich halb und streckte Christopher die Hand entgegen.
Als er zögerte, blitzte erneut Wut in ihr auf, und sie zog mit funkelnden Augen die Hand zurück. Verdrossen grunzte Christopher, blickte sich gepeinigt um und fügte sich endlich mit einem Seufzen. Widerstrebend, ohne sie anzusehen, hielt er ihr die Hände hin – nicht, um ihre zu schütteln, sondern um sie zu zeigen. Wynter schnappte nach Luft und wich zurück.
Trotz all ihrer Erfahrung mit Wunden und Narben und den grausigen Entstellungen, die Krieg und schwere Arbeit dem menschlichen Körper zufügten, erschütterte sie der Anblick seiner Hände. Sie passten überhaupt nicht zu seiner unbefangenen, selbstsicheren Grazie. Jetzt erst stellte sie mit heimlicher Bewunderung fest, dass es ihm seit seiner Ankunft gelungen war, sie allen Blicken zu entziehen.
Er ist ein Dieb, dachte sie erschocken.
»Ich bin kein Verbrecher«, murmelte er, als könnte er ihre Gedanken lesen, und sie sah ihm an, dass er an solch voreiligen Schlüsse gewöhnt war. Doch es lag nun einmal nahe, da dies im Norden die Strafe für Diebstahl war. So brutal durchgeführt
allerdings hatte sie es noch nie gesehen, mit solch furchtbaren Narben, und auch nie auf beiden Seiten. Sie betrachtete die schrecklichen Wunden, als wartete sie darauf, dass sie sprächen oder sich verwandelten.
Seine Hände waren schön, stark und weiß, die Finger schlank und geschmeidig. Ja, dachte sie ohne Genugtuung, ein Musiker. Gott steh ihm bei, es ist unübersehbar. Doch es fehlten beide Mittelfinger. Auf der rechten Seite sah es nach einer vergleichsweise sauberen Amputation aus, der Finger war am Gelenk abgehackt, wenn auch das Gewirr aus Narben und Furchen auf seinem Handrücken darauf hindeutete, dass er sich wie ein Wilder gewehrt haben musste. Das Messer war abgeglitten und herumgerutscht und hatte dabei die umliegende Haut und die anderen Finger übel zugerichtet. Die Wunde an seiner Linken jedoch war entsetzlich, denn sie zeugte von ungeheurer Rohheit. Nur ein kurzer, knotiger Stumpen war von dem Finger geblieben, und auch der war schlimm verkrümmt, als hätte der Unhold versucht, ihn buchstäblich aus dem Gelenk herauszudrehen. Eine lange, blasse Narbe verlief über den Handrücken bis hinein in den Ärmel; sie war glatt und chirurgisch, als hätte jemand eine Entzündung behandelt oder den Druck auf einen Abszess gelindert.
Wynter konnte nicht anders, ihr erster Gedanke war: Jetzt ist er mir gegenüber im Vorteil, und alles, was ich sage, wird mich wie ein wüstes Scheusal erscheinen lassen . Und auch ihr zweiter Gedanke gereichte ihr nicht zur Ehre: Du scheinst ein Talent dafür zu haben, Leute zu verärgern, Christopher
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