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Moorehawke 01 - Schattenpfade

Moorehawke 01 - Schattenpfade

Titel: Moorehawke 01 - Schattenpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kiernan Celine
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Eibe und Kiefer und Birke -, und es war unglaublich schön, bei Tageslicht draußen im Freien zu sein, die sanfte Brise auf dem Gesicht zu spüren. Es war beinahe berauschend.
    Sie ließ die brennenden Augen über die Bäume schweifen und betrachtete den Horizont, reckte den Kopf dem grau und rosa gefärbten Himmel entgegen. Allmählich ließ die Verspannung in Schultern und Rücken nach, und ihr Nacken lockerte sich. Durch das offene Fenster der Bibliothek hörte sie
das unaufhörliche leise Knirschen von Lorcans Hobel, hin und her, hin und her. Drei oder vier Tage seiner wundervollen Arbeit in nur einer Stunde zunichtegemacht.
    Plötzlich drehte sich Wynter um und lief vor diesem Geräusch weg, die lange Treppe hinunter und um die Birken herum – nur fort von der Bibliothek. Sie konnte dieses fortwährende Ausmerzen des Vermächtnisses ihres Vaters nicht länger ertragen.
    Vielleicht war Razi in den Stallungen? So früh am Morgen hatte das verlassene Anwesen etwas Schläfriges, Geisterhaftes, als liefe man durch einen Traum. Wynter nahm die Abkürzung durch die schmale Gasse zwischen dem ungenutzten Pferdestall und dem Futterschuppen. Vor ihr lag der Reitplatz, sie konnte das Trapp-Trapp eines im Kreis laufenden Pferdes hören. Staub wirbelte in den schrägen Sonnenstrahlen an der Mündung der Gasse auf.
    Gerade kam sie am Eingang einer leeren Box vorbei, als sie jemanden vor Schmerz leise aufstöhnen hörte. Wie angewurzelt blieb sie stehen.
    Hinter der hölzernen Wand keuchte Christopher: »Halt! Warte!«
    Blitzschnell ging Wynter in die Hocke, die Hand auf den Dolch gelegt. Die Wörter Hinterhalt und Meuchelmörder schossen ihr durch den Kopf.
    Dann noch eine flüsternde Stimme – weiblich, ungeduldig: »Was denn?«
    »Einen Moment noch …« Das war wieder Christopher. Man hörte ein Rascheln, dann kicherte die Frau.
    »So … jetzt«, keuchte Christopher.
    »Was in Gottes Namen ist denn das?«, wisperte die Frau; Zweifel und Neugier übertönten vorübergehend die heisere Erwartung in ihrer Stimme.

    »Das …« Grunzend hielt Christopher inne. Wieder kicherte die Frau, dann stieß sie ein langsames, seliges Aaaaahhhh aus. »Das«, knurrte Christopher atemlos, »soll dich vor Kerlen wie mir schützen.«
    Erneut stöhnte er – wie Wynter zu ihrer brennenden Beschämung feststellte, keineswegs vor Schmerz. Mit glühenden Wangen floh sie die Gasse hinunter.
    Jähe Wut auf Christopher traf sie heftig unterhalb des Herzens, wie ein Schlag gegen die Brust. Ihm bereitete es offenbar keinerlei Schwierigkeiten, Trost zu finden! Ihm ging es offenbar prächtig! Aber wo war Razi? Während sich Christopher verlustierte – wo hatte er Razi gelassen?
    Sie fand ihn am Reitplatz, lustlos auf einen Melkschemel gelümmelt, die langen Beine ausgestreckt, den Rücken gegen die rot getünchte Mauer des Futterschuppens gelehnt. Er überwachte das Einüben aller Gangarten bei einem Pferd und trug Arbeitskleidung: staubige Reithose, schmutzige Stiefel, darüber ein blassgrünes, locker gewebtes Hemd. Doch er wirkte unendlich erschöpft, und Wynter bezweifelte, dass er die Kraft hätte, im Sattel zu sitzen.
    Es erschreckte sie, wie ausgezehrt er aussah, wie viel älter als seine neunzehn Lebensjahre. Selbst die sonst so glänzende Lockenpracht wirkte müde – stumpf und unordentlich hing sie ihm in die halb geschlossenen Augen.
    Um die kreisförmige Reitbahn herum standen sechs oder sieben massige, schwarz gekleidete Wachposten – Leibwächter. Einer machte Anstalten, Wynter aufzuhalten, doch Razi winkte ab, lächelte sie an und bedeutete ihr, zu ihm zu kommen.
    »Hallo, Bruder!«, begrüßte sie ihn und kniete sich neben ihn in den Staub. Sie wandte sich dem großen Pferd zu, das an der Longe in einen langsamen Galopp fiel. Es war ein
prachtvolles Tier, eines dieser Pferde, die Prinzen glichen: elegant gewölbter Rücken, hoch erhobenes Haupt, ungeschliffen und feurig. »Gehört es dir?«
    »Ja.« Er legte ihr eine Hand auf den Kopf und strich langsam und liebevoll darüber. Dann ließ er den Arm müde wieder in den Schoß fallen.
    »Dein Kater ist auf Streifzug«, spottete sie. Fragend blickte Razi sie an. »Christopher«, erläuterte sie. »Er stößt sich im Stall die Hörner ab.«
    Zu Wynters Überraschung brach Razi in brüllendes Gelächter aus, so unvermittelt und laut, dass die Wachen die Köpfe wandten. »Dann hat er sie also gefunden, ja?« Er grinste, die Zähne leuchteten in dem dunklen Gesicht weiß auf, die Augen

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