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Moorehawke 01 - Schattenpfade

Moorehawke 01 - Schattenpfade

Titel: Moorehawke 01 - Schattenpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kiernan Celine
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funkelte in seinem geflochtenen Haar. Beide schwiegen eisern. Wynter wusste immer noch nicht, wohin sie gingen oder was sie zu tun hatten, und sie unterließ es, ihren Vater nach Einzelheiten zu fragen. Manchmal machten Worte alles nur noch schlimmer.
    Nun wandte er sich ihr zu und musterte sie prüfend von Kopf bis Fuß, nickte anerkennend und fragte: »Bist du bereit?«
    »Ja.«
    Traurig lächelte er sie an. »Also gut, mein Liebling.«
    Damit richtete er sich kerzengerade auf, drückte den Rücken durch und hob den Kopf. Wynters Vater verschwand hinter einer eisigen Miene und undurchdringlichen Augen, und zum Vorschein kam der Hohe Protektor Lorcan Moorehawke. Ohne sie noch einmal eines Blickes zu würdigen, rauschte er in den Gang hinaus – Meister und Lehrling unterwegs im Auftrag Seiner Majestät.
    Eigentlich hätte es ein ruhiger Mittag im Hochsommer sein sollen, doch in den Fluren herrschte rege Geschäftigkeit. Männer mit verbissenen Gesichtern und gesenkten Blicken hasteten durch die Gänge wie fleißige Ameisen. Sie schleppten große und kleine Gemälde, deren Vorderseiten mit Tüchern verhüllt waren, trugen Statuen und Papierstapel. Alle hatten das gleiche Ziel: den Garten.
    Gehorsam trottete Wynter hinter ihrem Vater her und tat, als bemerkte sie nichts. Doch sie sah die verkniffenen Mienen der Männer. Sie sah die Pagen und Dienstmädchen verstohlene Worte wechseln, wenn sie einander begegneten. Sie sah die hinter dem Rücken ihres Vaters wachsende Spannung.
    Dann stolperten zwei Männer am Absatz einer kurzen
Treppe, und das riesige Bild, das sie trugen, rutschte ihnen aus den Händen. Als sie es mühsam wieder auf die Schultern hievten, glitt die Abdeckung herab, und das Bild wurde enthüllt.
    Wynter blieb wie angewurzelt stehen.
    Es war ihr Lieblingsbild, das aus Jonathons Gemächern. Das, welches den Ehrenplatz über dem Kamin eingenommen hatte: Alberon, Razi und sie selbst im Garten, lächelnd und voller Glück.
    Erinnerungen überfluteten Wynter.
    Sie dachte daran, wie sie früher unter dem runden Tisch gelegen und den Gesprächen Olivers, Jonathons und ihres Vaters gelauscht hatte. Oft hatte sie mit den Beinen gezappelt und durch die Quasten des Tischtuchs hindurch das Bild angesehen. Und immer wieder war sie erstaunt gewesen, wie gut sie drei darauf getroffen waren. Wie ungewöhnlich genau ihr wahres Ich abgebildet war.
    Razi stand mit einem Buch in der Hand an eine Baumwurzel gelehnt und betrachtete Albi und Wynter, die zu seinen Füßen im Gras saßen. Albi hielt Shubbit, seinen heiß geliebten Spaniel, im Arm, und Wynters Augen waren auf den Betrachter gerichtet, den Blick voll wacher Neugier. Sie sahen so glücklich aus, wie eine richtige Familie. Echte Geschwister. Sie und Albi mussten zu der Zeit etwa sechs Jahre alt gewesen sein, Razi zehn.
    Die beiden Diener richteten das Bild wieder auf und trugen es die Stufen hinunter.
    Lorcans Hand auf ihrer Schulter holte Wynter in die Gegenwart zurück. Seine Miene war wachsam, während er den Männern mit dem Bild nachsah und drei glückliche Kindergesichter in der Düsternis der Treppe verschwanden.
    Jäh schlug er den Weg über die Seitentreppe in den kleinen Rosengarten ein, und Wynter folgte. Mit schnellen Schritten
steuerten sie auf die andere Seite des Schlosses zu. In der Luft lag der Geruch von Feuer, dichter Rauch wehte von irgendwo hinter den Mauern durch den Garten. Als sie um den Teich herumliefen, erhaschte Wynter einen Blick auf die Prozession aus Dienern, die ihre Pakete und Bündel hinter das Gebäude trugen, auf die Quelle des Rauchs, auf das Feuer zu. Eine Reihe anderer Männer war mit leeren Händen in umgekehrter Richtung unterwegs, Rauch im Haar, Anspannung im Blick.
    Lorcan erklomm die Granitstufen auf der gegenüberliegenden Seite des Gartens und folgte einem schwarz-weiß gefliesten Gang. Unversehens erkannte Wynter sein Ziel und erschrak. Oh, nein , dachte sie, nicht die Bibliothek . Die Werkzeugrolle auf ihrer Schulter war plötzlich unheilverkündend schwer.
    Lorcan öffnete die Tür, und da lag sie vor ihnen, genauso, wie Wynter sie in Erinnerung hatte – mit ihrem unvergänglichen Duft nach Holz und Fußbodenwachs und sonnengedörrtem Staub.
    Jonathon hatte sie zu seinem Lebenswerk gemacht. Zu einer Zeit, als Bücher überall verbrannt, beschlagnahmt, geächtet oder verboten wurden, hatte er mit Leidenschaft Folianten und Schriften aller Art gesammelt, und er sammelte sie in allen Sprachen, allen

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