Moorehawke 02 - Geisterpfade
Durstig trank er, setzte sich halb auf und umklammerte den Schlauch mit verzweifelter Gier, als würde er nie wieder im Leben Wasser schmecken. Wynter musste ihm den Sack schließlich gewaltsam entwenden, weil sie fürchtete, er könnte sich schaden. »Genug!«, rief sie.
Zu ihrer Überraschung wirkte Christophers Blick völlig klar, als er absetzte, wenn auch seine Pupillen noch geweitet waren. Ashkrs Anwesenheit schien ihn nicht im Geringsten zu überraschen. »Ashkr«, flüsterte er. »Es ist nicht gut verlaufen.«
Ashkr presste die eingerissenen Lippen zusammen und zog eine Grimasse. »Nein«, stimmte er heiser zu. »Nein. Nein … schlecht. Wir sehen nur Schlechtes. Schlechtes im Norden, Schlechtes hier. Embla, sie sieht Blut, sie sieht Menschen sterben, sehr rasch, einen nach dem anderen wie …« Er schnalzte in rascher Folge mit dem Fingern, schnipp, schnipp, schnipp , und krümmte sich dann zitternd über das Bett. »Hinweggemäht wie Getreide unter einem Regen aus Eisen und Feuer. Úlfnaor, er sagt, es ist, weil Das Volk hier fremd ist. Er sagt, das Sehen ist ganz durcheinander. An Domhan kennt uns noch nicht, sagt er. Wenn An Domhan uns kennt, wird alles gut für uns.« Bei diesen Worten
wurden Christopher und Ashkr ganz still, sie sahen einander nicht an.
»Wird An Domhan Euch kennen, nachdem Ihr Frith erklärt habt, Ashkr?«, traute sich Wynter zu fragen. »Geht es darum bei der Zeremonie?« Sie wollte, dass Ashkr Ja sagte. Sie wollte, dass nur die Frith-Zeremonie, die Christopher so sehr zu lieben schien, dazu nötig war. Doch irgendwo tief drinnen ahnte sie, dass hinter Ashkrs Worten sehr viel mehr steckte.
Der jedoch gab keine Antwort, sondern strich Wynter nur mit kalten, feuchten Fingern zärtlich über die Wange.
Da sagte Christopher scharf: »Euer Volk wird hier niemals gebilligt werden, Ashkr. Das alles ist vergeblich.«
Wynter und Razi sahen sich finster an; so vieles blieb hier unausgesprochen. Es war zum Verrücktwerden.
»Geht nach Hause, Ash«, fuhr Christopher fort. »Befehlt Eurem Volk, heimzukehren. Hier ist kein Platz für die alten Sitten, und gleich, was Ihr An Domhan gebt, es wird daran nichts ändern.« Jetzt nahm er Ashkrs Hand und sprach eindringlich auf den aufgewühlten Mann ein. »Ashkr, bitte «, flehte er. »Bitte nehmt Sólmundr und Embla und kehrt nach Hause zurück.«
»Aber dort ist auch kein Platz für uns, Coinín«, flüsterte Ashkr endlich. »Shirken, er drängt uns weiter und weiter. Unsere Aoirí, er hat sie auf die Folterbank gespannt. Er zerstört unsere Jagdgründe. Was sollen wir tun?«
»Passt Euch an!« Christopher sah ihn mit seinen grauen Augen durchdringend an. »Das ist der einzige Weg! Diese Welt wird nicht auf ewig unverändert bleiben, nur weil Ihr Euch das wünscht. Ihr müsst Euch anpassen.«
Ashkr lachte traurig auf, als hätte Christopher einen Scherz gemacht. »Wie der Schlangenstamm?«, fragte er. »Wie die
Falken? Es hat ihnen nichts Gutes eingebracht, nicht wahr? Und selbst wenn, mich dürft Ihr das nicht bitten, lucha . Mein ganzes Leben führt hierher, an diesen Punkt, es steht nicht in meiner Macht, zu ändern An Domhans Wille.«
Aufstöhnend drehte Christopher den Kopf zur Seite, doch Wynter bemerkte, dass er Ashkrs Hand nicht losließ. Eine Zeit lang blieben beide Männer stumm, jeder tief in Grübeleien versunken. Dann schüttelte Ashkr den Kopf, als wollte er seine Gedanken ordnen. »O ja«, raunte er, »Sól.« Er rüttelte an Christophers Hand. »Coinín, Sól …«
Christopher entzog ihm seine Hand. Ashkr lächelte freudlos. »Ihr glaubt immer noch, ich bin grausam. Ihr missbilligt, dass ich mich von ihm lieben lasse.«
Darauf entgegnete Christopher nichts, und Ashkr verzog bitter den Mund und schloss die Augen. »Dann kennt Ihr keine Liebe, wenn Ihr glaubt, sie sollte verwehrt werden aus Furcht vor dem Ende.« Kläglich und zitternd ließ er den Kopf hängen, und Razi legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ihr gehört ins Bett, Ashkr.«
»Ja, nur noch einen Moment.« Der blonde Mann öffnete die Augen einen Spalt und gab Christopher einen Schubs. »Coinín, Eure Freunde haben Sól gesagt, dass Ihr einnehmt seinen Platz. Er glaubt, Ihr bleibt.«
Christopher riss die Augen auf. »Was?«, rief er und stützte sich etwas wackelig auf die Ellbogen. »Wie bitte? Seid ihr wahnsinnig? Dieser arme Mann! Bei Frith! Wie konntet ihr so grausam sein?«
Schuldbewusst und verwirrt wichen Wynter und Razi zurück. »Ich …«,
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