Moorehawke 02 - Geisterpfade
behandelt hatte wie ein durchgegangenes Pferd; er hatte ihn gebändigt, hatte Christophers Angst durch seine eigene Kraft und seinen Willen bezähmt, und nun, da es vorbei war, hatte ihn alle Selbstbeherrschung verlassen, er schäumte vor Wut.
»Warum sind sie hier, Razi?«, wiederholte sie etwas sanfter.
Doch Razi schob sich stumm an ihr vorbei und überquerte die Lichtung mit gesenktem Kopf wie ein gereizter Bulle. Er schwang sich in den Sattel und zerrte seine Stute herum, riss mit ungewohnter Grobheit an den Zügeln, so dass das große Tier den Kopf nach hinten warf und widerwillig schnaubte.
»Kommt schon«, bellte er ärgerlich. »Wir reiten los.« Damit trieb er sein Pferd voran in den Wald, ohne zu warten, bis die anderen beiden aufgesessen waren.
Die eng stehenden Bäume machten es schwierig, nebeneinander zu reiten. Immer wieder schwenkten sie seitlich aus und fanden wieder zusammen; mal trotteten sie in einer Reihe hintereinander her, mal trennten sie sich vorübergehend. Wynter beobachtete die beiden durch das dichte Astwerk hindurch: Christopher saß mit hängenden Schultern im Sattel, trieb sein Pferd mit einem Schnalzen um Hindernisse herum oder durch lichteres Gehölz. Razi war in finstere Gedanken versunken und nicht ansprechbar. Er ritt in weitem Abstand voraus und legte ein gnadenloses Tempo vor, das weder Wynter noch Christopher infrage zu stellen wagten.
Nach einer ganzen Weile lichtete sich das Dickicht etwas, und Wynter ergriff die Gelegenheit, um zu Christopher aufzuschließen, so dass sie eine Zeit lang nebeneinander blieben. Er sah sie nicht an, obwohl sie ihn immer wieder von der Seite beäugte, und schließlich beugte sie sich zu ihm hinüber und berührte ihn am Arm.
»Christopher«, fragte sie leise, »geht es dir gut?«
»Aber ja!«, behauptete er. »Ich hab doch gesagt, es war nur der Schreck.« Mit einer Hand lenkte er sein Pferd um einen Baumstumpf herum und vermied es, Wynter anzusehen, als er wieder zurück auf den Pfad kam. »Ich hatte sie einfach nicht erwartet, weißt du. Razi hatte mir gesagt, sie würden nicht … Wenn ich das gewusst hätte, dann … Ich wäre sicherlich … weißt du …« Als er sein Stammeln bemerkte, verstummte er, drückte den Rücken durch und atmete tief und gereizt durch die Nase ein.
Razi schwieg weiterhin und ritt steif vor ihnen her.
»Normalerweise bin ich nicht so ein Feigling«, sagte Christopher unvermittelt. Wynter runzelte die Stirn und wollte etwas einwenden, doch er ließ sein Pferd ein paar Schritte zur Seite machen und blickte weiterhin starr geradeaus.
»Es war der Schreck«, stellte er nachdrücklich fest, als hätte Wynter das bestritten. »Ich hatte nicht damit gerechnet, sie dort zu sehen. Zu Hause weiß ich, dass sie da sind, ich kann mich vorbereiten, mich darauf einstellen. Das ist … es war nur der Schreck.«
»Zu Hause?«, fragte Wynter. »Im Maghreb, meinst du? Du triffst die Wölfe dort ?«
Er sah sie rasch an und ebenso rasch wieder weg. »Manchmal. Wenn sie in der Stadt sind. Ihre Ländereien liegen sehr nah an denen von Razi. Sie sind unsere Nachbarn.«
Wynter wandte sich Razi zu, doch falls er ihren Blick im Rücken spürte, ließ er sich nichts anmerken. Ihre Ländereien? , dachte sie. Die Wölfe besitzen Ländereien im Maghreb? Sie hatte immer geglaubt, sie lebten draußen in der Wildnis wie Tiere. In ihrer Vorstellung kauerten sie in schmutzigen Erdlöchern oder hockten in zottige Pelze gewickelt in Höhlen.
Sie betrachtete Christophers zerstörte Hände. Seine Linke ruhte auf seinem Oberschenkel, die Rechte hielt locker die Zügel und lenkte die kleine Stute über den Pfad. Wynter hatte angenommen, dass die Wölfe ihm das angetan hatten, aber gewiss – erneut musterte sie Razi -, gewiss spazierten doch diejenigen, die dafür verantwortlich waren, nicht einfach am helllichten Tag durch Algier? Du lieber Himmel! Sicherlich hätte Razi sie doch dafür zur Rechenschaft gezogen? Es stand dir nicht zu , hatte Christopher gesagt, ein Königreich um der Rache willen zu opfern .
Wynter spürte Zorn in sich aufwallen.
»Razi hatte gesagt, hier wären sie nicht«, sagte Christopher kaum hörbar, so als spräche er mit sich selbst.
»Chris.«
Beim Klang von Razis Stimme schnellte Christophers Kopf hoch. »Ja?«
Razi hielt an und drehte sich halb zu ihnen um. Sie schlossen zu ihm auf.
»Wie lange warst du mit den Wölfen unterwegs?«, fragte er. »Neun Monate? Zehn?«
Gütiger , dachte
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