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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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noch davon ausgehen, dass Mia durch seine Schuld gestorben war. Nur ich kannte die wahre Mörderin, weil Aryana mir im Wald den tatsächlichen Tathergang gestanden hatte, ehe sie versucht hatte, auch mich auszuschalten. Aber warum Urs sich freiwillig stellte, war mir ein Rätsel. Er war der Einzige, der nicht da war, als die Polizei vorhin die Oase gestürmt hatte. Er hätte locker türmen und nach Berlin trampen können.
    Wiesmüller hatte sich von seinem Erstaunen erholt und war näher gekommen. Er musterte Urs mit zusammengekniffenen Augen. »Sie behaupten also tatsächlich, das vermisste Mädchen hat hier in der Kommune gelebt. Und Sie wissen, was mit ihr passiert ist. Richtig?«, vergewisserte er sich.
    Urs nickte ein paarmal heftig. Sein Blick ging zu Zeno und seine Augen waren die eines Straßenkindes, das zum ersten Mal ein Zuhause gefunden hat.
    »Zeno hat mit der ganzen Sache nichts zu tun. Er wusste es nicht. Er wusste gar nichts«, sagte Urs atemlos. Bei seinen Worten wurde mir schlagartig klar, warum er zurückgekommen war. Er hatte Panik, sein Idol könnte für den Mord an Mia verantwortlich gemacht werden. Zeno versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, doch ich sah einen Ausdruck von Selbstzufriedenheit über sein Gesicht huschen.
    Mich hielt nichts mehr. »Falsch«, sagte ich und trat vor. Alle Köpfe fuhren zu mir herum. »Urs hat Mia nicht getötet. Sie war nach einem handgreiflichen Streit mit ihm nur ohnmächtig. Aryana hat sie zum See geschleift und ihren Kopf unter Wasser gedrückt«, sagte ich ruhig. »Dann ist sie zur Oase zurück und hat Urs weisgemacht, er sei schuld. In Panik wollte Urs die Tote im See versenken. Dort habe ich sie kurz darauf entdeckt. Da ist Urs zu Zeno gelaufen und hat ihm alles erzählt. Daraufhin haben sie gemeinsam die Leiche irgendwo verschwinden lassen.«
    Während ich redete, schüttelte Urs immer wieder den Kopf und murmelte: »Nein, nein, nein, nein«, wie ein Mantra.
    »Doch, Urs«, sagte ich sanft. »Aryana hat Mia ertränkt, als sie bewusstlos war. Sie hat es mir selbst gesagt. Im Wald, wo sie mich angegriffen hat. Sie hat dich angelogen. Und Zeno hat von der Sache gewusst. Vielleicht nicht, dass sie die Mörderin ist, aber er hat mit dir zusammen Mia verschwinden lassen.«
    »Das stimmt nicht«, brüllte Urs. »Ich war’s ganz allein!« Von seinen Lippen sprühte Speichel und seine Augen glänzten fiebrig. »Zeno ist unschuldig! Er wusste nichts, er hat damit nichts zu tun! Zeno ist …
rein
, kapierst du das denn nicht?« Der große, stämmige Junge zitterte am ganzen Körper. Vielleicht wäre er sogar auf mich losgegangen, wenn die beiden Polizisten ihn nicht festgehalten hätten. Wiesmüller trat vor ihn hin und blickte ihn scharf an.
    »Sind Sie sich bewusst, welche Konsequenzen ein Geständnis für Sie hat?«, versicherte er sich. Urs nickte nachdrücklich. »Ja. Und ich will auch keinen Anwalt«, presste er hervor. Wiesmüller zupfte an seinem Ohrring. So etwas war ihm in seiner Laufbahn offensichtlich noch nicht untergekommen. »Na gut, wenn Sie meinen. Wir nehmen Sie erst mal mit aufs Revier«, sagte er und wies die zwei Beamten mit einer Kopfbewegung an, Urs zu einem der Polizeiautos zu führen.
    Er leistete keinen Widerstand. Nur noch einmal drehte er den Kopf und blickte zu Zeno. Der lächelte und nickte dem großen Jungen zu – anerkennend wie mir schien. »Wir lassen dich nicht fallen«, versicherte er ihm.
    Urs wurde an mir vorbeigeführt. Sein Gesicht hatte die Farbe von Kreide, nur auf seinen Wangen brannten zwei hektisch-rote Flecken. Als ich seine Augen sah, erschrak ich. Die Pupillen waren riesig und hatten einen unnatürlichen Glanz. Das Gruseligste aber war: Er lächelte. Es war jedoch ein fernes Lächeln, so als sehe er etwas, das wir anderen nicht wahrnehmen konnten. Ich kannte diesen Ausdruck aus einem Buch über Märtyrer, die unter grausamer Folter für ihren Gott gestorben waren. Ihre gemalten Gesichter in diesem Buch hatten ähnlich gewirkt wie das von Urs jetzt. Und ich begriff, dass er ebenso zum Märtyrer werden wollte. Für Zeno. Weil er von ihm, Deva und der Oase abhängig war. Er würde alles tun, um sein Idol zu schützen – sogar einen Mord gestehen, den er in Wirklichkeit nicht begangen hatte. Lieber ginge er in den Knast als die Zuneigung von Zeno zu verlieren. Der Sündenbock, der freiwillig zur Schlachtbank ging. Irre. Und traurig.
    Als mein Blick zu Wiesmüller wanderte, sah ich, dass er offenbar ähnliche Gedanken

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