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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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»Fließe« nannte, wie Zeno erklärte. Ähnlich der Dutzend Adern eines riesigen Körpers bildeten sie ein geheimnisvolles Labyrinth aus Wasser. Kleine Häuser, deren Dächer weit heruntergezogen waren, standen in weiten Abständen zueinander und schienen sich unter den weiten, blauen Himmel zu ducken. Einige waren aus verwittertem Holz, bei einem Häuschen sah ich, dass die Außenfassade abwechselnd in hellem Beige und dunklem Braun gemauert war.
    »Sieht aus wie dieser Kuchen, ›kalter Hund‹. Den hat meine Mutter immer gemacht, als ich noch klein war«, entfuhr es mir spontan.
    Zeno nickte. »Kenne ich, den habe ich auch so gerne gegessen, dass mir jedes Mal danach schlecht war. Manchmal macht ihn meine Mutter aber noch. Deine auch?«
    Ich schüttelte nur stumm den Kopf. Mit seiner Frage hatte Zeno das Pflaster von einer Wunde abgerissen, die noch längst nicht verheilt war. Sofort stand mir wieder der kalte Januartag vor Augen, der mein Leben in »vorher« und »nachher« auseinandergerissen hatte. Nachdem die Polizei bei uns gewesen war und wir von der vereisten Straße erfahren hatten. Obwohl alle Möbel am gleichen Platz gestanden hatten und auch das Geschirr auf dem Frühstückstisch, von dem meine Mutter gerade eben aufgestanden zu sein schien, noch nicht abgeräumt war, hatte sich alles verändert und nichts würde mehr gut werden.
    In meiner Brust spürte ich ein schmerzhaftes Ziehen und ein dicker Klumpen Traurigkeit verstopfte mir die Kehle.
    »Hey, hab ich was Falsches gesagt?«, fragte Zeno und wandte sich mir zu.
    Mühsam schluckte ich an dem Kloß in meinem Hals vorbei, ehe ich flüsterte: »Meine Mutter ist tot. Autounfall …«
    Sofort fuhr Zeno rechts ran und stellte den Motor aus. Dann rutschte er wortlos zu mir rüber. Im nächsten Moment lag ich an seiner Schulter und weinte meinen ganzen Kummer, meinen Verlust und meine Trauer in sein Hemd. Zeno sagte kein Wort, aber sein Arm lag fest und sicher um meinen Nacken, und er wiegte mich sanft und kaum merklich. Sein Körper strahlte eine tröstliche Wärme aus, und ich fühlte mich so geborgen wie schon lange nicht mehr. Schließlich versiegten meine Tränen und ich richtete mich auf. Hastig fuhr ich mir über die Augen.
    »Jetzt hab ich dich total nass geheult«, sagte ich und versuchte, scherzhaft zu klingen. Stattdessen hörte ich die Stimme eines Elefanten mit Schnupfen. An mein Aussehen wollte ich lieber gar nicht denken. Mit meinen vom Weinen verquollenen Augen und der verschmierten Wimperntusche stand ich Ozzy Osbourne bestimmt in nichts nach, dachte ich mit grimmigem Humor – selbst wenn der die halbe Nacht geraucht und ein paar armen Fledermäusen den Kopf abgebissen hatte. Da kam von links ein Taschentuch in mein Blickfeld. Ohne Zeno anzusehen, nahm ich es und vergrub verschämt mein Gesicht darin.
    »Falls dir irgendwas unangenehm sein sollte – vergiss es«, hörte ich seine Stimme. Mit dem Tempo über Mund und Nase, was mir wahrscheinlich die Anmutung von Doctor McDreamy mit Mundschutz aus »Grey’s Anatomy« gab, blickte ich ihn nun doch an. Er warf mir einen kurzen Blick zu, ehe er den Wagen wieder startete und vorsichtig auf die Straße zurücklenkte. »Du hast jedes Recht, um deine Mutter zu weinen, Feline. Ihr Tod war sicher ein furchtbarer Schock, und die Trauer darüber muss raus«, meinte er und fügte nach einer Sekundenpause hinzu: »Du musst erst lernen, wie man mit so etwas fertigwird.« Ich verstand nicht, was er damit meinte, aber ich schniefte dankbar.
    »Okay«, krächzte ich und konnte schon wieder ein bisschen lächeln. Mit der rechten Hand zerzauste Zeno mir kurz und liebevoll die Haare, während die linke locker auf dem Lenkrad lag.
    »Was ist mit deinem Vater?«, fragte er beiläufig, ohne den Blick von der Straße zu nehmen. Ich merkte, wie ich unwillkürlich eine Grimasse zog.
    »Pff, der hat sich getröstet. Mit einer Jüngeren. Von der Assistentin zur neuen Frau. Hat ziemlich Karriere gemacht, die Tusse …«, sagte ich bitter.
    Zeno nickte nur, als hätte er sich so etwas schon gedacht. »Du wirst dich mit den Leuten in der Oase super verstehen«, sagte er unvermittelt und bog dann scharf nach links auf ein Sträßchen ab, das eher ein Feldweg war. Drei Kilometer und etliche Pfützen, die Zeno gekonnt umfuhr, später kamen wir an ein Tor, dessen weiße Farbe bereits etwas von den Holzlatten abblätterte. Zeno nahm den Gang raus, öffnete die beiden Torflügel und sprang zurück in den Wagen. Wir rollten

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