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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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kräftigen Braunen im Geschirr eine Landstraße entlangtrotten, schwere Hufschläge mischten sich mit dem Gezwitscher der Vögel, die in den Büschen nisteten, deren rote Beeren leuchteten …
    »Feline?«, riss Zenos Stimme mich in die Kreuzberger Wirklichkeit zurück.
    »Hm?«, schreckte ich hoch. Er grinste belustigt.
    »Ich habe gefragt, ob du nicht einfach mitkommen willst.« Ich starrte ihn an.
    »Wohin?«, fragte ich begriffsstutzig.
    »Na, zu uns. In die Kommune.«
    »In den Spreewald? Jetzt?«, rief ich ungläubig. Er nickte. »Aber … geht denn das so einfach? Ich meine, kann ich da so reinplatzen …?«, stammelte ich. Sein Angebot überrumpelte mich total.
    »Bei uns ist jeder herzlich eingeladen«, lächelte Zeno gelassen wie ein Buddha.
    »Äh, ja, das ist ja nett von euch, aber …« Ich wusste nicht mehr, was ich sagen sollte. Auf welche Weise sollte ich von dort wieder nach Hause kommen?
    Er schien zu wissen, was ich dachte, denn er lachte. »Bei uns ist Platz genug zum Schlafen. Mia und ein paar andere hast du gestern ja schon kennengelernt. Sie freuen sich bestimmt, dich zu sehen. Von mir mal ganz abgesehen«, fügte er schmunzelnd hinzu.
    Ich überlegte blitzschnell. Heute war Freitag, morgen also schulfrei. Und da es nur noch eine Woche bis zu den großen Ferien dauerte, hielten sich die Hausaufgaben, die ich bis Montag erledigen musste, auch in Grenzen. Und bestimmt konnte mich jemand morgen zu einem Bahnhof mitnehmen.
    »Oder musst du etwa noch deine Eltern um Erlaubnis fragen«, unterbrach Zenos Stimme meine Terminplanungen.
    Ich meinte, einen herablassenden Ton in seiner Stimme zu hören, und dachte an meinen Vater, der sicher zu Hause wieder das Rumpelstilzchen markieren würde, wenn ich nicht spurte. Der Gedanke, dass er wütend herumhüpfte und sich sogar durch seine Neue mit ihrer Piepsstimme nicht mehr beruhigen ließ, entlockte mir ein Grinsen. Ich hob den Kopf und blickte Zeno an. »Ich bin alt genug, um zu machen, was ich will«, erklärte ich. Meine Stimme klang sicherer, als ich mich fühlte. Aber ich wollte Zeno nicht einfach so gehen lassen. Er sah in mir etwas, das noch niemand vorher entdeckt hatte. Bei ihm fühlte ich mich plötzlich hübsch und klug. Unsere Begegnung gestern war kein Zufall, unser Wiedersehen heute Bestimmung. Das redete ich mir jedenfalls ein.
    Das Wohnmobil hatte sicher schon zehn Jahre auf dem Buckel, es klapperte, und wenn Zeno schneller als 120 fuhr, gab der Motor mit einem Röhren sein Bestes und überholte zumindest einige Lkws. Für mich jedoch flogen wir förmlich über die Straße. Aus dem Fenster sah ich die Streifen der weißen Fahrbahnmarkierung vorbeihuschen. Ich träumte mit offenen Augen, dass es flinke Fische in der Gischt des Meeres wären. Ich verspürte ein Kribbeln im Magen, genau wie früher, wenn ich Brausepulver geschluckt hatte. Würde die Kommune im Spreewald sich über mein plötzliches Erscheinen nicht wundern?
    »Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt, du und deine Kommune? Kennt ihr euch von früher oder hast du ’ne Anzeige geschaltet?«, fragte ich neugierig.
    »Ach, ein paar hatte ich mal bei einem Percussion-Workshop getroffen. Als dann die Idee aufkam, zusammen was aufzuziehen, hat sich das mit der Oase irgendwie herumgesprochen. Der Bekannte eines Kumpels einer Freundin … du weißt schon. Das geht oft ganz schnell. Auch ohne Facebook«, fügte Zeno noch mit einem spöttischen Grinsen in meine Richtung hinzu.
    Ich streckte ihm blitzschnell die Zunge raus. »Und wohnt ihr da zur Miete oder wie läuft das?«, forschte ich.
    »Nö, alter Familienbesitz«, sagte Zeno kurz angebunden. Offenbar stammten seine Eltern oder Großeltern aus der ehemaligen DDR . Ehe ich aber weiterfragen konnte, drehte er die Musik voll auf. Bob Marleys
»I shot the sheriff«
lief und Zeno fing an, lauthals mitzusingen. Ich vergaß meine Fragen und das leicht mulmige Gefühl, das sich in meinem Bauch breitgemacht hatte. Zeno grölte aus voller Kehle und sah mit einem Feixen zu mir rüber. Ich musste lachen. Bei der nächsten Zeile fiel ich ein.
    Bei der letzten Note wurde ich gegen die Beifahrertür gedrückt, denn Zeno war schwungvoll von der Autobahn abgebogen und holperte kurz darauf eine schmale Straße entlang. Ich vergaß Bob Marley, denn ich war damit beschäftigt, mich umzusehen. Nicht weit von Berlin entfernt, bot sich mir ein völlig verändertes Bild. Die endlosen Felder wurden von kleinen Flussarmen durchzogen, die man hier

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