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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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seine Neue nicht mehr im Flur standen, huschte ich mit meinem Rucksack in der Hand auf Socken die Treppe hinunter. Im Wohnzimmer hörte ich Musik und eine tiefe Stimme, die nicht meinem Vater gehörte – der Fernseher lief also. Sehr gut. Ohne ein Geräusch zu machen, erreichte ich den Flur und schnappte mir meine Sneaker. Ich zog die Wohnungstür nicht zu und übersprang die eine Treppenstufe, die immer so laut knarrte. Ich hatte nicht vor, sie jemals wieder zu betreten. Ebenso wenig wie dieses Haus, in dem ich aufgewachsen war, das aber längst nicht mehr mein Heim war. Obwohl ich mir sicher war, dass die alte Lehner längst im Bett lag, statt hinter ihrem Türspion zu lauern, zeigte ich der Erdgeschosswohnung links den ausgestreckten Mittelfinger, ehe ich auf die Straße trat und zielstrebig den Weg zum Bahnhof einschlug.

Kapitel 5
    »Feline! Das ist ja mal ’ne Überraschung!«
    Erschöpft stand ich vor Aryana und Kali. Per Anhalter war ich vom Bahnhof Cottbus bis kurz vor die Ortschaft Burg im Spreewald getrampt. Ein paar Kilometer musste ich zu Fuß zurücklegen, dann nahm mich ein Bauer in Feierabendlaune auf seinem Traktor bis zu der Wegkreuzung mit, an der Zeno gestern abgebogen war. Die Sonne war schon fast untergegangen, als ich endlich durch das weiß gestrichene Gatter stolperte und vor den Pforten der Oase strandete. Aryana strahlte und zog mich am Arm in den Kreis der Leute, die draußen saßen.
    »Guckt mal, wer hier ist«, rief sie. Es klang triumphierend, als sei ich ein kapitaler Zwölfender, den sie gerade erjagt hatte. Köpfe hoben sich, weiße Zähne blitzten in den Gesichtern. Lukas, Juli, Kali und die anderen lächelten freudig. Es fühlte sich an, wie nach Hause zu kommen. Doch mein Blick flog über die Köpfe, auf der Suche nach einem ganz bestimmten, zahnlückigen Lächeln …
    »Den Film hast du verpasst«, raunte da eine dunkle Stimme hinter mir und zwei kräftige Arme umschlangen mich. Zeno. Ich drehte den Kopf und blickte direkt in sein lachendes Gesicht.
    »Schade. Dabei hätte ich ein Happy End echt gut brauchen können«, brachte ich heraus, obwohl mein Herz so heftig klopfte, dass mein ganzer Körper pulsierte.
    Zeno musterte mich prüfend. »Ärger gehabt?«, wollte er wissen.
    Ich nickte, dann schüttelte ich den Kopf. »Nicht der Rede wert«, murmelte ich mit gesenktem Kopf. »Aber könnte ich … ich meine, wäre es möglich, vielleicht eine Zeit lang bei euch zu bleiben?«. Ich blickte auf und bemerkte gerade noch Zeno, der mit Aryana und Kali einen schnellen Blick wechselte, den ich nicht deuten konnte. »Ich würde auch arbeiten, im Garten oder so. Ich kann ganz gut kochen und …« Ich verstummte, weil ich mir plötzlich total blöd vorkam. Wahrscheinlich war es eine Schnapsidee gewesen, einfach hier aufzukreuzen und zu glauben, ich wäre tatsächlich willkommen. Das Angebot von Aryana und den anderen gestern war bestimmt nichts weiter als eine höfliche Floskel gewesen. Was hatte ich erwartet? Dass mich alle jubelnd begrüßen würden?
    »Das finde ich eine Spitzenidee«, drang in diesem Moment Zenos Stimme an mein Ohr. Ungläubig hob ich den Kopf und sah in die Runde. Zenos Lächeln überstrahlte alles, doch auch Kali, Aryana und Lukas grinsten freudig und nickten. Sogar Urs rang sich zu einem Heben der Mundwinkel durch. Nur Mias Miene wirkte etwas gekünstelt, aber vielleicht täuschte ich mich. Ehe ich weiter darüber nachdenken konnte, hatte Zeno meine Hand ergriffen und zog mich mit sich.
    »Komm mit«, sagte er und ich folgte ihm bereitwillig. Nur noch einmal drehte ich mich um. Mia stand immer noch am gleichen Fleck und sah uns nach. Ihr Gesicht war ausdruckslos, trotzdem hatte ich irgendwie das Gefühl, ihre zur Schau getragene Coolness war nicht echt. Aber die Berührung von Zenos warmen Fingern, die meine Hand umschlossen, und die Aussicht, mit ihm alleine zu sein, schwemmten alle Gedanken an Mia oder meinen Vater weg. In diesem Augenblick gab es nur noch uns beide. Wir überquerten den freien Platz und gingen an dem weiß gekalkten Gebäude vorbei, in dem ich letzte Nacht geschlafen hatte. Zeno steuerte ein kleines rechteckiges Gebäude mit Flachdach an, das offenbar nur ein paar ebenerdige Räume besaß. Ein überdimensionaler Schuhkarton mit Fenstern. »Hier hause ich«, sagte er und mein Herz machte ein paar schnelle Schläge. Wollte er mich mit zu sich nehmen, damit wir ungestört waren? Würde er jetzt den Kuss nachholen, auf den ich bereits im Stadtpark

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