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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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spätestens morgen früh wieder im Zug Richtung Heimat. Ich zog also meine Börse aus meiner Umhängetasche und wühlte umständlich in den Fächern. Und in diesem Moment hatte ich einen rettenden Geistesblitz.
    »Sorry, ich hab nur meinen Schülerausweis mit«, sagte ich möglichst ungezwungen und zog ein in Plastik verschweißtes Dokument raus. »Ich bin zweimal kleben geblieben, deswegen mache ich das Abi erst nächstes Jahr«, fügte ich etwas zittrig an. Was Zeno nicht wissen konnte: Laut Datum auf diesem Wisch war ich zwei Jahre älter als in Wirklichkeit. Auf die Idee war ich kurz nach Amerika gekommen, als ich endlich mal wieder Lust zum Ausgehen hatte – und in den angesagtesten Club am Prenzlauer Berg nicht reingekommen war. »Erst ab achtzehn«, hatte es geheißen. Der behaarte Gorilla-Arm des Türstehers war vor meiner Nase runtergefallen und hatte mir den Zutritt verwehrt. Und dafür hatte ich mir extra neue Klamotten gekauft und eine Stunde vorm Spiegel verbracht! Stinksauer hatte ich am Tag danach einfach meinen ursprünglichen Ausweis eingescannt und mit einem kostenlosen Bildbearbeitungsprogramm die letzte Zahl meines Geburtsjahrs heruntergesetzt. Dann hatte ich das Ding in der Firma meines Vaters heimlich in Farbe ausgedruckt und zusätzlich noch laminiert. Ich war selbst verblüfft gewesen, wie professionell dieser Wisch aussah. Fast besser als mein echter Ausweis. Trotzdem zitterten mir die Knie, während Zeno das Kärtchen nah an den Kerzenleuchter hielt und eingehend musterte. In dem Moment, da ich überzeugt war, er würde mich gleich wütend fragen, ob ich ihn für blöd verkaufen wolle, enthüllte ein breites Grinsen seine Zahnlücke. Erleichtert grinste ich zurück.
    »Na dann noch mal: Willkommen in der Oase, diesmal ganz offiziell«, sagte Zeno, wobei er wie beiläufig meinen Ausweis einsteckte.
    Ich wollte protestieren, da nahm er mich in die Arme und zog mich an sich. Überwältigt von seiner Nähe hielt ich die Luft an und unwillkürlich schmiegte mein Körper sich an ihn. Doch anstatt meine Signale aufzunehmen und zu erwidern, strich Zeno mir nur übers Haar, ehe er sich behutsam, aber unmissverständlich von mir löste.
    »Deva wartet«, sagte er leise. »Ich zeige dir noch schnell, wo du schläfst.«
    Mit einem Ziehen im Herz und dem bitteren Geschmack von Enttäuschung in der Kehle folgte ich ihm nach draußen. Mia und Kali warteten offenbar schon, denn sie nahmen mich sofort in ihre Mitte und lotsten mich zu dem Haus, das ich von meinem letzten Besuch schon kannte. Im Zimmer hockten Irina und Aryana auf zwei Sitzkissen und lächelten mir zu. Mia wies auf das unterste Stockbett links.
    »Hier kannst du schlafen«, erklärte sie. »Kali, Aryana, Irina und ich wohnen auch hier.« Ich verstand erst mal nicht.
    »Wie jetzt – ihr schlaft heute Nacht alle hier?«, fragte ich begriffsstutzig. Irina verbiss sich ein Lachen, während Mia mich ansah, als käme ich vom Planeten Dämlich.
    »Wir schlafen immer hier«, sagte sie geduldig. »In der Oase teilen sich immer vier bis sechs Bewohner ein Haus …«
    »… streng getrennt nach Männlein und Weiblein«, fiel Kali ihr grinsend ins Wort.
    »Oh, ach so«, erwiderte ich schwach. Ich war es überhaupt nicht gewohnt, mit jemandem im Zimmer zu pennen. Um ehrlich zu sein, hasste ich es sogar abgrundtief. Klassenreisen, Landschulheim-Aufenthalte und dieser ganze Gruppenzwang hatten mich schon immer genervt. Ich konnte dem nichts abgewinnen, mit einem halben Dutzend Mitschülerinnen in ein Zimmer gepfercht zu werden. Das dauernde Geschnatter und Gekicher nervte mich, genauso wie die herumfliegenden Klamotten und die Schminksachen, die sich im Gemeinschaftsbad türmten. Ich war jemand, der gerne für sich blieb und Zeit alleine brauchte. Sogar bei Timo hatte ich Probleme gehabt, wenn er bei mir übernachtete. Ein fremdes Atemgeräusch reichte, um mir den Schlaf zu rauben. Anscheinend sah Mia mir mein Unbehagen an, denn sie grinste anzüglich.
    »Tja, Prinzessin auf der Erbse, Einzelzimmer mit Bad ist hier nicht«, neckte sie mich, aber ich hörte einen harten Unterton in ihrer Stimme. Irina warf ihr einen mahnenden Blick zu.
    »Am Anfang denkt man immer, ›nee wie ätzend‹«, sagte sie verständnisvoll. »Aber du wirst dich schnell daran gewöhnen.«
    »Ach ja?«, murmelte ich höflich und dachte bei mir:
Eher friert die Hölle zu
. Aber weil mir vor Müdigkeit inzwischen die Augen zufielen und ich nicht die verwöhnte Großstadtzicke

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