Moorseelen
entgegen. »Mama ist gerade mal ein Jahr tot und du drückst in deinem Leben einfach mal schnell die Reset-Taste, ja? Neue Frau, neues Kind – und alles ist vergessen, oder wie?!«
Er war blass geworden. Trotzdem wollte er versuchen, »vernünftig« mit mir zu reden, was ich an seinem Gesicht sah, denn seine Miene wurde ernst. »Hör mal, Feline. Dass deine Mutter gestorben ist, war auch für mich eine schreckliche Tragödie. Aber das Leben muss doch weitergehen. Ich meine … ich kann doch nicht den Rest meiner Tage alleine bleiben …«
Sein billiger Rechtfertigungsversuch gab nun
mir
den Rest. »Wenn du Gesellschaft brauchst, dann kauf dir ’nen Hund«, schnauzte ich. Und fügte, als ich seinen fassungslosen Blick sah, kalt hinzu: »Bloß gut, dass Mama nie mitgekriegt hat, wie austauschbar sie für dich war!«
Zuerst spürte ich nur ein kurzes heftiges Brennen auf meiner linken Gesichtshälfte. Dann, wie ein Echo, hörte ich zeitversetzt das Klatschen. Mein Vater hatte mich geschlagen. Ungläubig schnellte meine Hand an meine Wange, die sich heiß anfühlte, so als hätte ich kurz das Bügeleisen daran gehalten. Ich hob den Blick und sah, dass der wütende Ausdruck schlagartig aus dem Gesicht meines Vaters gewichen war. Seine Augen, vorher fast schwarz vor Zorn, waren nun gerötet und wässrig. »O Gott, Feli, tut mir leid! Ich wollte nicht …«, fing er an. Während er einen Schritt auf mich zuging, hob er die Hand, wie um mir über die Wange zu streichen. Ich wich zurück.
Fass mich nicht an
, wollte ich sagen, aber ich brachte kein Wort raus. Meine Stimme war ein Korken in der Flasche und steckte irgendwo in meiner Kehle fest. Ich zitterte. Weniger vor Schmerz als wegen des Schocks, von meinem Vater, der mich vorher nie geschlagen hatte, eine Ohrfeige kassiert zu haben. Ich fühlte mich gedemütigt und mit Absicht in den Dreck geschubst. Vor allem schämte ich mich vor der Neuen und wie sie mich nun sehen musste: ein gezüchtigtes, dummes Gör. Schnell jedoch verwandelte sich der Schreck in Hass. Endlich fand ich meine Stimme wieder und war selbst überrascht, wie kalt und messerscharf sie klang.
»Du kotzt mich an!« Meine Worte zerschnitten nicht nur die Stille, sondern auch den Rest des unsichtbaren Bandes, welches meinen Vater und mich bisher zusammengehalten hatte. Aber ich würde nicht weinen, nicht vor der Neuen, niemals! Die guckte mit aufgerissenen Augen von meinem Vater zu mir.
»Wir können doch über alles reden«, fiepte sie, ehe sie flehend hinzufügte: »Feli.«
Das reichte. Niemand außer meiner Mutter durfte mich so nennen. »Halt dich raus«, fuhr ich sie impulsiv an. Mein Vater schnappte nach Luft, doch ehe er noch etwas sagen konnte, fiel ich ihm ins Wort: »Spar’s dir, okay? Mit dir bin ich fertig! Am besten denkst du gar nicht mehr daran, dass es mich gibt. So wie du auch Mama gar nicht schnell genug vergessen konntest!«
Damit wirbelte ich auf dem Absatz herum und stürmte die Treppe hoch und in mein Zimmer. Bevor ich der Tür einen heftigen Fußtritt versetzte, die sie donnernd ins Schloss fallen ließ, hörte ich noch die Stimme der Neuen.
»Lass sie, Bernd, sie beruhigt sich schon wieder!«
Wenn sie sich da mal nicht täuschte. Hastig packte ich ein paar Klamotten, Wäsche und meine Zahnbürste zusammen und stopfte die ganze gesparte Kohle, mit der ich eigentlich in den Sommerferien nach Paris fahren wollte, in meine Jeanstasche. Ich hatte schon die Hand auf der Türklinke, doch dann zögerte ich. Sekundenlang rangen die Rachegelüste mit der Zuneigung zu meinem Vater. Langsam ließ ich den Griff los. Mein Blick schweifte über meinen Schreibtisch und das übliche Chaos aus Schulbüchern, halb bekritzelten Zetteln und übereinanderliegenden Kulis. Schließlich schlug ich mein Matheheft auf und riss eine der hinteren Seiten raus, die noch unbeschrieben waren. Ich griff nach dem erstbesten Stift, den ich in die Finger bekam. Meine Hand zitterte, aber ich war fest entschlossen und schrieb:
»
Such nicht nach mir.
Ich habe einen Ort gefunden, wo es mir besser geht. F.
«
Zwei Zeilen. Jedes Wort ein Schnitt, der mich von meinem Vater trennte. Nicht mal meinen Namen wollte ich für ihn noch ausschreiben, ein Buchstabe musste genügen. Ich ließ die herausgerissene Seite einfach liegen, genau wie mein bisheriges Leben. Langsam, ganz langsam drückte ich die Klinke meiner Zimmertür herunter und lauschte mit angehaltenem Atem. Erst als ich sicher war, dass mein Vater und
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