Moorseelen
gehofft hatte? Zeno stieß die Tür auf und schob mich vor sich her in den Flur. »Wir haben einen Neuzugang«, rief er in die Dunkelheit, die im Inneren herrschte. Wohnte er etwa nicht alleine hier?
»Ich komme schon«, hörte ich eine Stimme. Eindeutig weiblich. Mein Herz verwandelte sich in einen schweren Stein und plumpste Richtung Magen. Er lebte hier mit einer Frau, wahrscheinlich seiner Freundin. Am liebsten hätte ich mich umgedreht und wäre den ganzen Weg nach Berlin zurückgerannt. Aber wo hätte ich hingehen sollen? In den Wedding zu meinem Vater und seiner schwangeren Neuen? Bestimmt nicht. Also blieb ich stocksteif stehen. Zuerst hörte ich nur ein Scharren. Etwas schien über den Boden zu schleifen. Aus der Schwärze des Zimmers löste sich ein Schemen. Eine gedrungene Gestalt, klein wie ein Kind, aber zu breit für ihre Größe. Während ich noch einzuordnen versuchte, was da vor mir stand, ging das Licht an und ich sah, dass ich mich getäuscht hatte. Es war kein Kind und auch kein junges Mädchen. Ich blickte in das Gesicht einer Frau um die fünfzig. Sie hatte hohe Wangenknochen und die gleichen braunen Augen wie Zeno. Erst dann wurde mir klar, warum sie mir so klein und gedrungen erschienen war: Die Frau saß im Rollstuhl.
Ich gab mir Mühe, mir meine Befangenheit nicht anmerken zu lassen.
»Mutter«, sagte Zeno förmlich und nahm mich an den Schultern, »das ist Feline.« Zenos Mutter wohnte also auch in der Oase. Ob sie wohl durch eine Krankheit gelähmt war? Ich musste mich zwingen, nicht auf ihre Beine zu starren, die mit einer Decke aus blauem Stoff mit Goldstickerei verhüllt waren. Sie musterte mich prüfend aus ahornsirupfarbenen Augen, die Zenos so ähnlich waren, ehe sie lächelte und mir die Hand hinstreckte.
»Willkommen. Ich bin Deva.«
Ich schüttelte ihr schüchtern die Hand und dachte: was für ein seltsamer Name. Klang irgendwie indisch. »Ich kläre mit Feline noch ein paar Sachen, dann komme ich zu dir rüber«, sagte Zeno zu seiner Mutter. Sie nickte und er beugte sich hinunter, um sie zärtlich auf die Stirn zu küssen. Ein kurzer heißer Neid-Funken blitzte in meinem Herzen auf. Mit einer fließend-anmutigen Bewegung drehte Deva ihren Rollstuhl, eine Tänzerin auf Rädern. Sekunden später hörte ich nur noch das leise Quietschen der Reifen auf den alten Dielen, als sie durch die Zimmertür verschwand und wieder von der Dunkelheit verschluckt wurde. Zeno legte mir den Arm um die Schultern und führte mich in den gegenüberliegenden Raum. Er machte kein Licht, sondern zündete nur ein paar Kerzen in einem mehrarmigen Leuchter an. Die herabgelaufenen Wachstropfen sahen aus wie erstarrte Tränen. An der Kopfseite konnte ich vage ein Bild erkennen, von dem ein Buddha herablächelte.
»Ich freue mich wirklich, dass du hier bist, Feline«, sagte Zeno mit seinem heiser-dunklen Timbre und ich schluckte. Mein Magen kribbelte und eine erwartungsvolle Ungeduld machte sich in mir breit. »Aber du kannst nur unter einer Bedingung hierbleiben«, fuhr Zeno ernst fort und wieder erwischte er mich kalt. Sollte das heißen, er war gar nicht so begeistert von meinem Auftauchen, wie ich gehofft hatte?
»Und die wäre?«, krächzte ich. Ich fühlte mich enttäuscht und betrogen, weil ich mich in seiner Gegenwart oft fühlte, als würde ich erst in ein warmes Schaumbad tauchen – und dann einen kalten Guss über den Kopf bekommen. Zeno sah mich an. Wieder dachte ich, er wüsste, was in mir vorging.
»Ich fände es klasse, wenn du bleiben könntest – aber dafür musst du volljährig sein«, erklärte er. »Wir wollen sichergehen, dass es deine freie Entscheidung ist und du keine Schwierigkeiten kriegst, verstehst du?« Obwohl ich ein schlechtes Gewissen bekam, war ich in diesem Augenblick fest entschlossen, alles zu tun, um nicht mehr nach Berlin zurückzumüssen. Die Vorstellung von einem Leben mit meinem Vater, seiner Neuen und später noch einem Baby war für mich schlimmer als Knast.
Daher blickte ich Zeno fest an und sagte mit aller Überzeugungskraft, die ich aufbrachte: »Klar bin ich schon achtzehn, was dachtest du denn?«
Er nickte lächelnd. »Prima. Du hast doch sicher einen Ausweis oder so was, oder?« Und fügte, als er meinen ungläubigen Blick sah, rasch hinzu, »eine reine Formalität.« Aber ich wusste, dass es ihm ernst war. Fieberhaft überlegte ich, ob ich einfach behaupten sollte, ich hätte nichts dabei, aber so ernst, wie Zeno die Sache war, säße ich dann
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