Moorseelen
seines Smartphones herum, während sie völlig darin versunken war, eine SMS zu tippen. Das Desinteresse aneinander war fühlbar, ja, zwischen ihnen schien sich eine gläserne Trennwand zu befinden. Ich drehte den Kopf und sah zwei Mädchen in meinem Alter den Tisch links vor mir entern. Ob wenigstens sie sich unterhielten? Keine fünf Minuten später hatte ich die Antwort auf meine selbst gestellte Frage: Ja – die eine brauchte dringend neue Klamotten, hatte aber keine Kohle. Und ihre doofe Mutter rückte vor Anfang des nächsten Monats keinen Cent Taschengeld mehr raus. Ihre Freundin ging überhaupt nicht darauf ein, sondern regte sich nur darüber auf, wie bescheuert eine gewisse Nicole gestern auf Facebook gepostet hatte. Danach schwiegen sie sich an. Ich klammerte mich an meinen Kaffeebecher und fühlte mich schlagartig einsam. Wäre ich auf einer verlassenen Insel mitten im Meer gestrandet, hätte es nicht schlimmer sein können. Je länger ich mir die Leute ansah, desto weniger erstrebenswert wirkte ihr Leben in meinen Augen.
Unvermittelt überkam mich eine heftige Sehnsucht nach der Oase. Ich dachte an meinen ersten Abend am Lagerfeuer und wie Zeno mich in den Arm genommen hatte, als ich ihm von meiner Mutter erzählt hatte. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie freundlich und selbstverständlich alle zusammenhielten und sich für die gemeinsame Idee einer besseren Welt einsetzten. Und mich hatten sie auch ohne zu fragen sofort in ihre Gemeinschaft aufgenommen. Anders als ich es hier im Café erlebte, gab es in der Oase keinen oberflächlichen Small Talk, sondern es wurde über die wirklich wichtigen Dinge geredet.
Plötzlich wurde mir klar, dass mein dramatischer Abgang vorhin ein Riesenfehler gewesen war. Devas Lächeln blitzte in meiner Erinnerung auf und ihre warmen braunen Augen schienen mich direkt anzusehen, ehe ich merkte, dass es eigentlich Zenos Karamellsirupblick war, nach dem ich mich sehnte.
Ich stand auf und legte einen Fünfer auf den Tisch. Den Cupcake ließ ich stehen, doch den Pappbecher mit dem Logo des Coffee-Shops schmiss ich in hohem Bogen in den nächsten Mülleimer. Als er im dunklen Schlund auf Nimmerwiedersehen verschwand, traf ich eine Entscheidung. Hastig griff ich in meine Jeanstasche, zog meinen Personalausweis heraus und warf ihn hinterher.
Kapitel 8
www.facebook.com/pages/vermisst/118437678200969
B. Tauber
Hallo! Darf ich um eure Mithilfe bitten! Meine Tochter FELINE TAUBER ist seit gestern verschwunden, vermutlich ist sie irgendwo in Berlin unterwegs!! Feline ist sechzehn Jahre alt, 1,70 m groß, hat graugrüne Augen und lange rote Haare (gefärbt!), das Foto zeigt sie vor achtzehn Monaten. Hat jemand sie gesehen? Vielen Dank, B. Tauber
Luzie am 13.08.
Ich glaube, ich habe Ihre Tochter gesehen. Im Mauerpark saß heute ein Mädchen mit roten Haaren, die so ähnlich aussah. Sie hat Ohrringe und so Zeug verkauft. Sah selbst gemacht aus. Könnte das Feline gewesen sein? Hoffe, Sie finden sie bald!
»Bernd, meinst du, das war sie?«
»Wieso soll Feline plötzlich auf die Idee kommen, Ohrringe zu verkaufen? Sie hat Basteln schon als Kind gehasst, wie die Pest. Nein, sicher war es irgendein rothaariges Mädchen, aber nicht Feline.«
»Und was jetzt?«
»Ich weiß nicht, Melanie. Die Polizei sucht unter Hochdruck, aber ich habe Angst, ihr ist was passiert!«
*
Ich war zweimal gestolpert und hatte mir das linke Knie blutig geschlagen. Trotzdem humpelte ich unbeirrt weiter und ignorierte das dünne Rinnsal, das meine helle Jeans in Kniehöhe rostbraun färbte. Die Wunde brannte, ich war erschöpft und in meinen Füßen pochte es dumpf von den vielen Kilometern, die ich zurückgelegt hatte. Vielleicht war der Sturz die Strafe für meine Arroganz, weil ich nicht zu schätzen gewusst hatte, welch besonderer Ort die Oase war. Allerdings war klar, dass ich es mir mit den Bewohnern der Oase, einschließlich Zeno, unter Umständen endgültig verscherzt hatte.
Bereits zum zweiten Mal stand ich vor der Pforte der Kommune, aber würde man mich diesmal überhaupt noch reinlassen? Sicher hatte Zeno von Urs bereits brühwarm erfahren, wie ich mich heute im Park aufgeführt hatte. Mir fiel Zenos Gesichtsausdruck ein, mit dem er Mia befohlen hatte, mit ihm zu kommen. Seine Augen waren nicht mehr warm und karamellbraun gewesen, sondern aus hartem, dunklem Glas. Und nach dem Gespräch hatte Mia die Oase verlassen. Vielleicht war sie ja gar nicht abgehauen, sondern Zeno hatte sie
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