Moorseelen
Der harte Eisklumpen, der bisher in meinem Magen gesessen hatte, begann zu schmelzen. »Aber«, fuhr Zeno fort, und mein Herz machte einen ängstlichen Hopser, weil er mich kritisch musterte, »du kannst noch nicht loslassen. Ich kann an deinem Pulsschlag fühlen, wie aufgewühlt du bist. Dir fehlt der innere Frieden, weil du noch an alten Strukturen hängst und in ungesunden Mustern feststeckst.« Ratlos hockte ich auf meinem Kissen. Was meinte Zeno damit? »Ich würde gerne mit dir arbeiten, Feline«, unterbrach er meine Grübelei. »Ich möchte dir helfen, frei zu werden. Und glücklich.« Ich runzelte die Stirn, weil er ein bisschen nach Wunderheiler klang, der ein Allheilmittel anpries. Dann aber dachte ich an Lukas, Juli und die anderen Bewohner der Oase. Hatte ich sie nicht erst vor ein paar Tagen um ihre Gelassenheit und Heiterkeit beneidet? Daher nickte ich und beschloss, Zeno zu vertrauen. Er hatte mir doch selbst gesagt, ich würde mein eigenes Herz vergiften, wenn ich immer nur argwöhnisch war.
Zeno, der mich aufmerksam beobachtet hatte, nickte ebenfalls. »Schließ die Augen«, wies er mich an. Ich tat, was er verlangte. »Stell dir vor, dein Vater sitzt vor dir. Was würdest du ihm jetzt gerne sagen?«, fragte Zeno.
Ich versuchte, das Bild meines Vaters heraufzubeschwören. Doch bei der Vorstellung, mein unsportlicher Erzeuger würde ähnlich einer missgelaunten Saatkrähe auf dem Bodenkissen hocken und ächzend versuchen, eine bequeme Position zu finden, musste ich fast lachen.
»Trau dich«, hörte ich Zenos Stimme, »und sage ihm alles, was du bisher zurückgehalten hast!« Ich wollte ihm gehorchen, aber ich brachte kein Wort heraus. »Du musst durch den Schmerz gehen«, drängte Zeno. »Nur so kannst du ihn überwinden!«
Erneut versuchte ich meinen Vater hier in der Oase, in diesem Raum zu sehen. Vergeblich. Stumm schüttelte ich den Kopf und öffnete die Augen. »Sorry, das ist mir zu abgefahren«, wandte ich ein. »Ich kann mir meinen Vater nicht in diesem Raum vorstellen. Und ich kann nicht mit jemandem reden, der gar nicht da ist. Dabei komme ich mir einfach … albern vor. Tut mir echt leid«, fügte ich noch hinzu, denn mir war klar, dass ich Zeno damit enttäuschte.
Statt mit mir zu diskutieren, trat er hinter mich. »Augen zu«, befahl er erneut, diesmal aber schon in strengerem Tonfall. Reflexartig gehorchte ich. »Ich bin dein Vater. Und ich sage dir, wie
ich
mich fühle«, hörte ich Zenos Stimme hinter meinem Rücken. »Seit deine Mutter tot ist, fühle ich mich nämlich überfordert. Ich habe keine Lust, mich um dich zu kümmern. Ich brauche keine Tochter, die mir nur Probleme macht. Du bist eine Last für mich, Feline.« Jedes seiner Worte war ein scharfes Skalpell, das in mein Bewusstsein drang und gnadenlos in mein Herz schnitt. Es war nicht mehr Zeno, der da sprach – nun war es tatsächlich mein Vater. Ich konnte den Schmerz, den jeder seiner Sätze in mir auslöste, körperlich fühlen. Keuchend krümmte ich mich zusammen, weil ich das Gefühl hatte, mein Herz würde in Scheiben geschnitten, die mir im nächsten Moment als blutige Stücke vor die Füße fallen würden.
»Hör auf«, stieß ich abgehackt hervor, doch die Stimme – mein Vater – ließ nicht locker.
Zwei Hände legten sich schraubstockartig um meine Schultern und zwangen mich in eine aufrecht sitzende Position. »Du weißt längst, dass ich es viel besser gefunden hätte, wenn du in Amerika geblieben wärst. Zu Hause bist du nur ein Stressfaktor«, drang es gnadenlos an mein Ohr, während der grobe Griff um meine Schultern blieb.
»Sei still, sei doch endlich still«, hörte ich mich wimmern. Wenn Mama noch leben würde, dann würde sie nie zulassen, dass er so mit mir redete. Und sie hätte niemals so was zu mir gesagt, wenn mein Vater statt ihrer gestorben wäre. Mit meiner Mutter hätte ich die Trauer gemeinsam durchgestanden und wir wären noch enger zusammengerückt … Ehe ich mich jedoch tiefer in diese Vorstellung zurückziehen konnte, hörte ich wieder das gehässige Flüstern hinter mir. Die Stimme ließ nicht locker.
»Aber du musstest ja zurückkommen. Du bist so egoistisch …«, raunte sie, und das war der Moment, in dem mich eine wütende Riesenhand zu packen schien und mich nach vorne schleuderte. Ich wand mich aus dem Griff, fuhr herum und schrie die Stimme an, die mir die ganze hässliche Wahrheit offenbart hatte.
»Du bist doch der Egoist! Und ein beschissener Feigling!« Es war eine
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