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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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rausgeschmissen? So wie er es mit mir vielleicht auch machen würde. Unwillkürlich verlangsamte ich meine Schritte. Mir war ganz flau im Magen vor Angst. Am liebsten wäre ich umgekehrt. Aber wohin? Mein letztes Geld war für die Zugfahrt von Berlin nach Cottbus draufgegangen. Diesmal hatte ich beim Trampen nicht so viel Glück gehabt und war weit vor Burg gestrandet. Von dort musste ich etwa acht Kilometer laufen. Inzwischen war die Dämmerung in der Farbe von blaugrauem Taubengefieder von den ersten, schiefergrauen Schatten der Nacht abgelöst worden. Ich rannte los. Eine plötzliche Angst vor der Dunkelheit und das Gefühl völliger Einsamkeit überfielen mich wie Wegelagerer, die hinter den Bäumen nur auf ein Opfer gelauert hatten. Ich wollte zur Oase – und zu Zeno. Keuchend erreichte ich das weiß gestrichene Gatter und als ich endlich vor dem Haus stand, klangen meine hastigen Atemzüge eher nach Schluchzern. Mit letzter Kraft hämmerte ich an die Tür. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis ich endlich das mir inzwischen vertraute Quietschen der Räder von Devas Rollstuhl hörte. Noch ehe sie die Tür ganz geöffnet hatte, war ich schon ins Innere geschlüpft und lehnte mich an die Wand. Alle Kraft schien schlagartig aus meinem Körper zu weichen.
    »Feline, Mädchen! Du bist ja völlig fertig, was ist denn los?« Devas warme dunkle Stimme war tröstlicher als eine Tasse heißer Kakao.
    Ich öffnete den Mund, um ihr alles zu erklären, aber ich brachte kein Wort heraus. Stattdessen begannen meine Tränen zu fließen und ich rutschte mit dem Rücken an der rauen Wand entlang in die Hockstellung. Während mich ein Schluchzen schüttelte, spürte ich auf einmal ihre schmale Hand, die mir übers Haar strich. Die Geste erinnerte mich an meine Mutter. Genauso hatte sie mich oft beruhigt und getröstet. Nun brach es aus mir heraus. Stammelnd und in einer Mischung aus Selbstanklage und Verzweiflung erzählte ich von Berlin, dem Streit mit Urs im Park und meinen Erlebnissen im Straßencafé.
    »… und da habe ich gemerkt, dass ich nur noch hierher zurückkommen wollte. Aber ich glaube, ich hab’s versaut. Zeno wird mich hochkant rauswerfen, wenn er mich sieht«, endete ich schließlich kläglich.
    »Was macht dich da so sicher?«, fragte eine dunkle Stimme, die eindeutig nicht Deva gehörte.
    Mein Kopf schnellte hoch. Zeno war lautlos in den Flur getreten. Und ich kauerte auf dem Boden – ein verheultes Häuflein Elend! Ich konnte ihn nur stumm anstarren. Mit unbewegter Miene streckte er mir die Hand entgegen, um mir aufzuhelfen. Steifbeinig rappelte ich mich hoch und stand nun linkisch im Flur. Zeno sah mich nicht an, sondern sagte an seine Mutter gewandt: »Ich gehe mit ihr nach nebenan. Ich glaube, Feline braucht eine Session.«
    Deva nickte, während ich nur Bahnhof verstand. Was meinte er mit »Session«, wollte er mit mir Musik machen? Weil ich aber immer noch Angst hatte, aus der Oase verwiesen zu werden, hielt ich den Mund und folgte Zeno in den Raum mit dem Buddhabild, den ich schon einmal betreten hatte. Damals hatte Zeno den Beweis von mir gefordert, dass ich volljährig war, und ich hatte ihm meinen gefälschten Schülerausweis gezeigt. War mein Bluff inzwischen etwa aufgeflogen?
    Zeno wirkte ganz ruhig und freundlich, als er die Kerzen entzündete und ein paar Kissen aus einer Ecke holte, die er mit einer lässigen Bewegung in die Mitte des Raumes warf. »Setz dich bitte«, sagte er und deutete auf den Boden.
    Gehorsam ließ ich mich auf einem der Kissen nieder. Mit der fließend-geschmeidigen Bewegung einer Katze nahm Zeno mir gegenüber Platz.
    »Ich habe gehört, was du zu meiner Mutter gesagt hast«, fing er an. Ich zog schon den Kopf ein, weil ich damit rechnete, dass er mich wegen meines Verhaltens gegenüber Urs zur Schnecke machen würde, doch dann spürte ich überrascht, wie er seine Hand auf meine legte. Mit seinem festen, warmen Griff umschloss er meine angstkalten, zitternden Finger. »Du beginnst zu begreifen, Feline. Das ist gut. Das ist sogar sehr gut«, meinte er und ich sah ihn überrascht an. »Du fängst an, die Wahrheit hinter der glitzernden Fassade zu sehen«, erklärte Zeno. »Du merkst, wie sehr die Menschen ausschließlich mit sich selbst beschäftigt sind. Und du erkennst den Unterschied zwischen ihnen und – uns.« Beim letzten Wort drückte er sanft meine Hand, als wollte er deutlich machen, dass dieses »uns« mich mit einschloss. Schlagartig fühlte ich mich besser.

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