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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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ohne einen Finger zu rühren, kannst du vergessen! Zeno anzuhimmeln, reicht nicht! Auch wenn du dir einbildest, du kommst damit durch!«
    Zu meinem Schrecken konnte ich die heiße Scham fühlen, die in mir hochstieg und mein Gesicht garantiert glühen ließ wie die Laterne vor einer Tabledancebar. Auf einmal hasste ich Urs zutiefst: dafür, dass er mich vor Aryana bloßstellte, aber auch, weil er einen wunden Punkt bei mir traf. Was du kannst, kann ich schon lange, dachte ich. »Wer hier Zeno ›anhimmelt‹, bist ja wohl du«, schoss ich zurück. »So, wie du ihn gestern beim Abendessen angesehen hast, hätte man denken können, du spielst in einem Leni-Riefenstahl-Film mit«, setzte ich gehässig noch eins drauf.
    Aryana sog scharf die Luft ein. Vielleicht war ich doch ein bisschen drüber gewesen mit meinem Vergleich. Urs’ pausbäckiges Gesicht hatte die Farbe eines frisch gewaschenen Bettlakens angenommen. Obwohl ich mich schämte, konnte ich einen Anflug von Genugtuung nicht unterdrücken. Dann verzerrten sich seine Züge und ich bekam nun doch Angst. Urs war groß und wog mindestensneunzig Kilo. Wenn er auf einen losging, dürfte die Wucht etwa dem Angriff eines Büffels entsprechen.
    »Seit du zu uns gekommen bist, machst du Stress. Und du bist schuld, dass Mia wegwollte!«, spuckte er mir förmlich entgegen.
    »Bullshit«, konterte ich. Aber in einer Ecke meines Herzens fürchtete ich, Urs könnte recht haben.
    Aryana hatte inzwischen Tränen in den Augen. »Seid still! Ihr macht alles kaputt«, jammerte sie.
    »Okay, Aryana, raus damit: Stimmt es, was Urs sagt? Nerve ich euch?«, nahm ich sie in die Mangel.
    Aryana machte ein paarmal den Mund auf und zu, brachte aber keinen Ton heraus.
    »Los, sag’s ihr, Aryana«, hetzte Urs sie auf.
    »Ja, nur zu, tue dir keinen Zwang an«, forderte ich kalt.
    Wie ein gehetztes Tier, das zwischen zwei Jäger geraten war, irrte Aryanas Blick zwischen Urs und mir hin und her. Dann brach sie wortlos in Tränen aus.
    »Da siehst du, was du angerichtet hast«, fauchte Urs.
    »Ich? Spinnst du?
Du
bist doch hier der Psycho. Erst versuchst du mich fertigzumachen und dann machst du Aryana voll Druck«, rief ich.
    Urs starrte mich an. Seine Oberlippe war zurückgezogen, sodass er aussah wie ein in die Enge getriebener Kater. »Wieso bist du überhaupt zu uns gekommen? Keiner braucht dich in der Oase«, sagte er tonlos. Seine Worte fuhren als kalte Messerklinge in mein Herz. Wortlos stand ich auf und kippte ihm den gesamten Inhalt des Schmuckkastens vor die Füße.
    »Hier, du Idiot! Du kannst mich mal!« Mit ein paar Sprüngen war ich zwischen den Bäumen verschwunden.
    Ich rannte, bis die Grünfläche des Parks von einer breiten asphaltierten Straße abgelöst wurde. Erst, als die ersten Klamottenläden, Cafés und mit Graffiti besprühten Häuserfassaden der Kastanienallee begannen, verlangsamte ich meinen Schritt. Außer Atem ließ ich mich auf den nächstbesten Stuhl im nächstbesten Coffeeshop fallen und bestellte wie ferngesteuert. Als Cupcake und Kaffee kamen, sog ich gierig den Duft des bitteren Espressoaromas ein. Mir kam es vor, als hätte ich wochenlang nur noch von Wasser und dieser grauenhaften Pampe gelebt, die sich Eintopf nannte. Sollten Mia, Lukas und die anderen nur weiter davon essen oder sich beim Fasten selbst kasteien. Ohne mich. Ich hatte keine Lust mehr, Mönch im finstersten Mittelalter zu spielen. Trotzig nahm ich einen großen Schluck vom Kaffee – und verbrannte mir prompt die Zunge. Fluchend pustete ich in den wolkigen Milchschaum, bis er etwas kühler war. Aber auch der zweite Schluck war nicht besser. Auch auf die Süßigkeit hatte ich nun keinen Appetit mehr. Irgendwie schmeckte alles schal, vor allem das Gefühl der neugewonnenen Freiheit. Denn wohin sollte ich jetzt gehen? Nach Hause zu meinem Vater? Auf keinen Fall. Aber mit gerade mal siebzehn Euro in der Tasche würde ich nicht mal in einer Jugendherberge ein Bett kriegen. Mit einem Anflug von Neid beobachtete ich die Vorübergehenden: Sie hatten alle ein Ziel und wussten, wohin sie gehörten.
    Doch dann fiel mir auf, dass die Leute trotz völlig unterschiedlicher Stylings alle etwas gemeinsam hatten: Keiner von ihnen blickte sich um. Sie glotzten nur in ihre Handys oder hatten die Stöpsel ihrer iPods im Ohr. Mit leerem Blick liefen sie aneinander vorbei. Sogar das Pärchen an dem Tisch rechts neben mir redete kein Wort miteinander. Er fuhr mit dem Zeigefinger gelangweilt auf dem Display

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