Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
Vom Netzwerk:
beobachten schienen, wo ich ging und stand.
    »Wir sind eine Gemeinschaft. Nur zusammen sind wir stark«, hörte ich Zenos Stimme wie ein Echo. Heftig presste ich mir die Fäuste auf meine geschlossenen Augen.
    »Nein«, sagte ich laut, »das glaube ich nicht. Es geht in der Oase doch darum, anders zu leben, bewusster und achtsamer …« Aber ich hörte selbst, wie dünn meine Stimme klang. Zweifel hatten sich in meinem Herzen eingenistet und verspritzten ihr Gift. Mit einem Mal wusste ich, dass diese Zweifel von Anfang an da gewesen waren. Ich hatte sie nur verdrängt. Wegen Zeno.
    Nick schien es zu merken, denn mit spöttischem Unterton entgegnete er: »Bewusst leben, ja? Und deswegen zwingt Zeno seine Leute dazu, zu fasten? Und überhaupt – wann arbeitet
er
denn mal in der Küche? Oder im Gemüsegarten oder auf dem Acker, hä? Hast du ihn da schon mal gesehen? Ich nicht! Und diese Kamera, von der du erzählt hast, kommt mir auch spanisch vor. Der Typ dreht doch irgendwelche krummen Dinger!«
    Am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten, doch Nicks unbarmherzige Stimme drang durch mein Bewusstsein.
    »Mensch, Feli, wach auf! Du hättest dich mal am Spreeufer sehen sollen, als du die zwei Ökoladies vollgequatscht hast, damit sie dir eins von diesen Klimperdingern abkaufen! Ich dachte, ich steh im Wald, als ich gehört habe, was du denen für einen Mist erzählt hast! Schlimmer als jede Drückerkolonne! Und alles nur, um Zeno und seiner Mutter ein paar Kröten zu überreichen, stimmt’s?«
    Ich gab keine Antwort. Alles in mir bäumte sich gegen Nicks Argumente auf. Denn wenn er recht hatte, würde das heißen, dass ich, die ich immer geglaubt hatte, so stark und clever zu sein, gnadenlos reingefallen war. Nicht nur auf eine Sekte – sondern vor allem auf Zeno, der mir seine Zuneigung nur vorgegaukelt hatte. Ich blickte hoch und sah in Nicks Gesicht. Die Erkenntnis schmerzte mich mehr als eine Ohrfeige meines Vaters es vermocht hätte: Wie eine Spinne hatte Zeno ein harmlos aussehendes, trügerisch glitzerndes Netz gewoben. Und ich war die Fliege, die – angezogen von seinem Honigblick – dumm und naiv in die Falle gegangen war. Ich hatte mich in ihn verliebt, aber er hatte das alles nur gemacht, um ein neues Mitglied in seiner Gemeinschaft zu haben. Und Nick hatte er auch nur geduldet, weil er und Deva wahrscheinlich gehofft hatten, ich würde ihn dazu bringen sich anzupassen. Denn je mehr Leute die Arbeit leisteten, desto mehr Geld würden sie in die Kasse der Oase spülen. Der Gedanke, nur ein Rädchen im Getriebe der Oase gewesen zu sein, versetzte mir einen Stich.
    »Also gut«, brachte ich nur heraus, doch Nick schien zufrieden zu sein. Wieselflink huschte er davon. Ratlos starrte ich auf den Boden und versuchte in den kleinen Steinen dort unten die Antwort auf all meine Fragen zu lesen. Da hörte ich Schritte, die sich näherten. Ich blickte auf und sah Juli, die mit diesem komischen Schneidedraht zurückgekommen war. Verblüfft musterte sie mich.
    »Was machst du denn noch hier?«, fragte sie.
    Ich hatte nur Sekunden Zeit mich zu entscheiden: für oder gegen die Oase. Für die Wahrheit – oder die Lüge.
    »Ich hab auf dich gewartet! Und in der Werkstatt ein bisschen aufgeräumt«, erklärte ich zuckersüß. Juli sah erst verdattert aus, dann aber verzog sich ihr Gesicht zu einem zufriedenen Lächeln.
    »Na, dann komm. In einer Viertelstunde gibt es Essen.«
    Ich nickte und dachte daran, dass es meine letzte Mahlzeit in der Oase sein würde. Morgen beim Frühstück wären Nick und ich längst verschwunden.
    Doch wer verschwand, war Nick. Er tauchte weder beim Abendessen auf, noch konnte ich ihn bei der anschließenden Meditation entdecken. Hatte er sein Versprechen gebrochen und war ohne mich los? Aber warum? Und plötzlich glaubte ich, den Grund zu kennen. Ich hatte zu lange gezögert, zu viele Zweifel gehabt, zur Polizei zu gehen. Daher hatte er die Oase alleine verlassen.
    *
    Um ihn herum war es dunkel und stickig. Nick versuchte, den Kopf zu heben. Der vergalt es ihm mit einem grellen Schmerz, der hinter seinen Augen explodierte. Stöhnend sank er zurück. Was war eigentlich passiert? Langsam und bruchstückhaft wie ein halbfertiges Kreuzworträtsel kamen die Erinnerungen zurück. Er hatte im Schlafsaal der Jungen gestanden und aus der Innentasche seiner Jacke die beiden Zündkerzen seines Rollers gefischt. Dann hatte er die kleinen silbernen Zylinder in seine Hosentasche gesteckt, war zur Tür

Weitere Kostenlose Bücher