Mops und Möhren
die Lippen der rosa Gloss. Plus eine Extraportion apricotfarbenes Rouge. Nach fünf Minuten fühle ich mich wieder menschlich, gönne mir noch einen extra Spritzer des blumigen Parfums und löse den Zopf. Meine Haare fallen – oh Wunder – fluffig auf meine Schultern und ich brauche fast kein Spray. Solche Tage sind selten und ich werte das als gutes Omen. Vielleicht wird der Abend ja doch ganz okay.
Aber das Haarorakel täuscht sich. Mächtig. Als ich wieder in die Küche komme, hat die Truppe schon die erste Flasche Prosecco geköpft. Mudel, der Verräter, sitzt zu Sandras Füßen und lässt sich die Ohren kraulen. Wenigstens Earl beachtet mich und wedelt mit dem Ringelschwänzchen, als ich hereinkomme. »Du bist mein Bester«, sage ich betont fröhlich und überreiche dem Mops mit großer Geste ein Leckerli aus der getöpferten Dose. Die sind eigentlich für ganz spezielle Momente reserviert, und Rolf schüttelt auch den Kopf. Aber das ignoriere ich und verpasse Earl eine Hundemassage de luxe, nachdem ich ihn auf meinen Schoß gewuchtet habe. Da mein Platz von Sandra besetzt ist, muss ich auf den Besucherstuhl mit der geschnitzten Lehne ausweichen. Der ist dermaßen durchgesessen, dass ich tiefer als alle anderen am Tisch sitze und mich ziemlich klein fühle. Arne sitzt zwischen Rolf und Sandra. Mit Chris zu meiner Linken und einem freien Stuhl zwischen Arnes Ex und mir ist die Tafelrunde komplett. Aus dem Ofen strömt der gigantische Lasagneduft. Mein Magen knurrt.
»Kommt noch jemand?« Ich deute auf das sechste Gedeck.
»Ja«, antwortet Chris im selben Moment, als es schellt. »Und da ist er schon!« Rolf springt auf und geht zur Tür, gefolgt von Mudel, der laut kläfft. Mudel denkt immer, jeder Besucher komme nur zu ihm, weswegen er meistens einen immensen Terz veranstaltet, auch wenn nur der Paketbote bimmelt. Earl zuckt nur mit den Ohren. Der Mops ist klüger – er weiß, dass die Menschen zu ihm kommen, wenn sie erst mal in der Wohnung sind, und spart sich die Energie.
»Schön, dass Sie es einrichten konnten«, höre ich Rolf sagen und schicke einen fragenden Blick zu Arne. Der zuckt mit den Schultern.
»Gern, danke für die Einladung.« Eine männliche, tiefe Stimme. Kenne ich irgendwo her.
»Der Anwalt«, flüstert Chris.
»Von vorhin der?«, wispere ich zurück. Chris nickt. Da kommt auch schon Herr Othmer in die Küche. Jetzt trägt er einen dunkelroten Wollpullover zu dunkelblauen Jeans.
»Hallo allerseits!«, ruft er munter in die Runde. »Ich habe ein bisschen was Flüssiges mitgebracht.« Er hält zwei Flaschen Rotwein in die Höhe. Den aufwändigen Etiketten nach nicht gerade das billigste Stöffchen.
»Wie lieb«, sagt Chris, steht auf und begrüßt den Gast.
»Darf ich vorstellen«, sagt er dann und macht uns miteinander bekannt. Der Anwalt hat einen erstaunlich festen Händedruck und sehr sympathische hellblaue Augen. Er hat so gar nichts Verbiestertes an sich. So viele Anwälte kenne ich zwar nicht – ehrlich gesagt keinen einzigen – , aber dieser hier ist eindeutig anders als alle Rechtsverdreher, die ich im Fernsehen gesehen habe.
»Wir dachten, wir reden noch mal in Ruhe über alles«, erklärt Rolf. »Heute Mittag in der Kolonie war ja kein vernünftiges Gespräch mehr möglich.« Das kann ich mir lebhaft vorstellen – schon als Arne und ich gingen, ging es hoch her, und ich wette, die Wogen sind dann noch übergeschwappt.
»Nett, Sie kennenzulernen«, sagt nun Herr Othmer und gibt Sandra die Hand. Er hält sie länger fest als meine, wie ich bemerke.
»Ja«, haucht Sandra. »Ich bin Sandra.«
»Bernd«, stellt Bernd sich vor und nimmt zwischen mir und Sandra Platz.
»Du bist aber süß«, sagt er und beugt sich zu mir. Natürlich meint er nicht mich, sondern Earl, der immer noch auf meinem Schoß sitzt und den neuen Gast irritiert anschaut. Wer nichts Fressbares mitbringt, der kann dem Mops gestohlen bleiben. Guter Hund! Mudel allerdings zeigt mal wieder, dass er keinen sehr festen Charakter hat. Jetzt drängt er sich zwischen Sandra und den Anwalt, schaut beide abwechselnd an und wartet, wer ihn streichelt.
»Ja, du bist auch putzig«, meint Bernd und tätschelt Mudels Lockenkopf. »Hübsch habt ihr es hier.« Der Anwalt lässt den Blick durch unsere Küche schweifen: das schöne alte Sideboard mit Aufsatz, ein Erbstück von meiner Oma. Die zusammen gewürfelten Stühle Marke schwedisches Möbelhaus mit Sperrmüllelementen, den Vorhang, der die Dusche abtrennt und
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