Mops und Möhren
über Wochen, meinte Klaus Hünken, dürfte dem Mief den Garaus machen. Vorausgesetzt, es käme noch frische Farbe an die Wände und ein neuer Belag auf den Boden. So weit sind die Jungs allerdings noch nicht, weswegen ich mir die blaue Fleecedecke und zwei Kissen schnappe und es mir auf der Klappliege im Schatten hinter dem Holunderbusch bequem mache. Im vom Vormieter übernommenen Sideboard finde ich eine Packung Leckerlis für die Hunde, fülle einen Wassernapf und entscheide mich für einen historischen Roman aus Rolfs Gartenbibliothek. Nicht, weil mich der am meisten interessieren würde, aber die Schrift ist mit Abstand am größten von allen Büchern, die hier stehen, und ich befürchte, mein immer noch matschiger Schädel kommt mit kleineren Buchstaben heute nicht klar.
Mudel und sein Vater balgen sich um die Hundekekse, während ich mich auf der Liege installiere. Ich versuche, mich lesend ins 15. Jahrhundert zu begeben. Den Prolog, bei dem eine Hexe verbrannt wird, überblättere ich nach den ersten beiden Abschnitten. Ich habe sowieso nicht vor, das ganze Buch zu lesen und vertiefe mich lieber in die detailgenaue Beschreibung der Gemächer und der Kleiderkammer irgendeiner Königin. Ich liebe so was, und das Brummen einer dicken Hummel passt genauso gut zu meiner Stimmung wie der Gang durch die mit edelsten Seiden gefüllten Gemächer. Die Beschreibung ist allerdings so genau, dass ich nach der siebten Robe gähne. Nummer acht kann ich nur noch verschwommen lesen. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass die Hunde sich ineinander verschlungen haben und selig neben meinem Kopfteil schlummern. Robe Nummer neun treibt mich dann endgültig in den Schlaf.
Als mein Traum-Ich eben in ein mit goldenen Spitzen besetztes nachtblaues Kleid schlüpfen will, hebe ich vor Schreck beinahe von der Liege ab: Earl und Mudel sind aufgesprungen und kläffen, was das Zeug hält. Mudel, der eine halbe Oktave unter seinem Vater bellt, knurrt zwischendrin und hat die Rückenhaare aufgestellt. Der Mops hat sein gefährlichstes Gesicht aufgesetzt, bei dem er die Zähne zwischen den Knautschlefzen sehen lässt. Was für Eingeweihte nach wie vor niedlich aussieht, aber das würden wir Earl nie sagen, das würde an seiner Mops-Ehre nagen.
Ich nehme das Buch, das auf meiner Brust liegt, herunter und setze mich auf. Erstaunlicherweise wird mir dabei nicht schwindelig und so stehe ich schneller als in den letzten Tagen auf. Erst als ich auf meinen Füßen stehe, meldet sich mein Kreislauf, aber ich atme tief ein und versuche, das Schwanken zu ignorieren. Nach einer halben Sekunde ist es auch schon wieder vorbei und ich linse hinter dem Holunderbusch hervor in den Garten. Das Tor steht offen und mitten auf dem Plattenweg liegt einer dieser Tretroller, die man zum Taschenformat zusammenklappen kann. Einen halben Meter weiter entdecke ich einen roten Rucksack.
Die Hunde schießen um den Busch, kläffen und knurren nun noch lauter.
»Oh, ich wollte euch nicht erschrecken«, ruft eine Mädchenstimme.
»Wer ist da?«, schreie ich. Irgendwie ist mir ein bisschen mulmig, obwohl es heller Tag ist und die Stimme alles andere als bedrohlich klingt. Und: Meine Wachhunde verstummen augenblicklich. In Sachen Kampfhundeausbildung muss dringend was getan werden, denke ich mir und trete todesmutig hinter dem Busch vor.
»Du?«
»Äh … hallo … ich … also … wollte nicht stören«, stammelt Nina. Das Rattenmädchen hält eine etwas ausgefranste rote Rose in der einen und ein ewiges Friedhofslicht in der anderen Hand. Earl beschnuppert hingebungsvoll ihre Sneakers und Mudel springt an ihren Beinen hoch.
»Was machst du denn hier?«, sage ich schärfer, als ich es meine. Nina wird knallrot.
»Ich wollte nur nach dem Grab sehen«, sagt sie leise. »Aber ich kann auch wieder gehen … Ich dachte, hier ist niemand.«
»Quatsch!«, rufe ich und gehe zu ihr hin. »Ich finde das total lieb von dir.«
»Echt?« Erleichtert atmet sie auf, und an ihrem Blick erkenne ich, dass sie in mir tatsächlich eine Erwachsene sieht, eine Respektsperson. Ich klopfe ihr aufmunternd auf die Schulter.
»Schöne Blume«, sage ich.
»Na ja, bisschen zerknickt.« Stimmt, die Rose sieht ziemlich benutzt aus, und eigentlich will ich gar nicht wissen, wo Nina sie her hat. Ich tippe auf Friedhof.
»Ach, wenn du sie nur hinlegst, dann fällt das nicht auf«, antworte ich und schlage Nina vor, im Garten nach einem flachen Stein zu suchen, auf den sie ihr Grablicht stellen
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