Mops und Möhren
lassen will.
Von weit hinten hören wir Klaus Hünken rufen: »Was ist denn passiert?« Aber auch ihm können wir jetzt nichts erklären, das alles muss warten. Mit zitternden Händen schließe ich meinen alten Fiat auf und halte die hintere Tür auf. Arne schlüpft mit dem Mops auf den Rücksitz. Mudel will hinterher springen, aber ich halte ihn zurück. Da hinten ist jetzt der Platz des Besitzers. Rolf klemmt sich neben Arne. Mudel darf auf den Beifahrersitz. Ist sonst streng verboten, aber schließlich haben wir hier einen Notfall. Meine Klapperkiste springt zum Glück sofort an. Earl japst nach Luft und jault leise. Niemand von uns spricht ein Wort, außer Arne, der dem Hund beruhigende Laute ins Ohr summt.
In jeder Kurve wird Earls Jammern lauter. Ich stelle mir vor, einen Karton mit rohen Eiern zu transportieren. Eigentlich wäre mir danach, Gas zu geben, aber ich ahne, dass das nicht gut wäre für unseren Patienten. Und so schleiche ich die vielen Kurven hinab in die Stadt. Zum Glück ist der Berufsverkehr längst vorbei, sodass wir ohne den üblichen Rückstau in Stuttgart downtown ankommen. Den Ortskenntnissen von Postbote Rolf sei Dank schaffen wir es über Schleichwege und nicht ganz erlaubte, weil für Anwohner reservierte Straßen innerhalb knapp 20 Minuten bis zum Notdienst. Den hat heute eine Tierärztin in der Augustenstraße, die Rolf nach Arnes Anweisung bereits per Handy informiert hat. Ohne Rücksicht auf das Parkverbot halte ich in der zweiten Reihe. Warnblinker an, Tür auf. Arne windet sich mit dem jetzt schwer nach Luft schnappenden Earl im Arm aus dem Auto, während Rolf schon zum Haus rennt und die Tür aufdrückt. Die Praxis ist im unteren Stock des Mehrfamilienhauses. Im Treppenhaus remple ich einen dort abgestellten Kinderwagen an und verheddere mich im Schiebegriff. Ich knalle mit dem Schienbein gegen die Haustür, aber ich spüre keinen Schmerz. Ich muss da rein. Zu Earl. Zu Rolf. Zu Arne und Mudel, der als Erster durch die Praxistür gestürmt ist.
Die Ärztin erwartet uns schon und hält die Tür zum Behandlungsraum auf.
»Verdacht auf innere Blutungen«, gibt Arne völlig außer Atem bekannt.
»Röntgen, hier lang, Kollege«, antwortet die Ärztin knapp und zeigt auf eine Tür am Ende des Ganges. »Und Sie warten hier.« Damit waren Rolf, Mudel und ich gemeint.
»Aber … «, will Rolf noch sagen, doch da sind die Ärzte samt Patient schon verschwunden. Ich lasse mich auf einen der orangefarbenen Plastikstühle fallen. Mudel springt auf meinen Schoß und sieht mich verwirrt an. Ich kraule ihn hinter den Ohren, vergrabe meine Hände in seinem lockigen Fell und merke, dass meine Knie weicher als Panna Cotta sind.
»Rolf, setz dich«, schlage ich vor. Aber der schüttelt nur mit dem Kopf und beginnt damit, auf und ab zu tigern. Das macht mich nur noch nervöser, und so herrsche ich ihn ziemlich unfreundlich an: »Setz dich hin, verdammt!« Er stutzt, lässt sich dann aber auf den Stuhl neben meinem fallen und knetet nervös seine Hände.
»Scheißescheißescheiße«, murmelt Rolf wie ein Mantra vor sich hin. Ich denke genau dasselbe. Sage ich aber nicht. Stattdessen versuche ich, ihm Mut zu machen. Allerdings kommen da nicht viel andere Sätze wie ›Wird schon‹ und ›Earl ist in besten Händen‹ dabei raus. Nach zehn Minuten fällt mir nichts mehr ein. Mudel verzieht sich unter einen der Stühle und schläft ein erschöpftes Nickerchen. Selbst Rolf verstummt. Gebannt starren wir auf die Tür des Wartezimmers. Als die nach einer gefühlten Ewigkeit endlich auffliegt, springen wir alle drei so schnell auf, dass zwei Stühle laut gegen die Wand klatschen.
»Und?«
»Was ist?«
»Sag schon!«, bombardieren wir Arne mit Fragen. Der holt tief Luft.
»Milzruptur. Niere unklar, Leber oh Be. Diffuse Einblutungen.«
Scheiße. Also doch.
»Was?«, will Rolf wissen.
»Die Milz hat einen Riss. Bei der Niere sieht man es nicht, die Leber ist okay«, übersetze ich hastig.
»Ja, dann ist das … Das ist doch gut? Also nicht schlimm?«
»Das kann ich so nicht sagen. Wir müssen auf jeden Fall die Blutung stoppen. Ich gehe mal assistieren, außer Frau Lösch ist ja keiner mehr da, Feierabend.«
»Soll ich?«, will ich fragen. Arne verschwindet wortlos. Ich schaue auf die Uhr. Schon nach halb sieben. Ich rechne rückwärts – es ist wirklich höchste Zeit! Und eigentlich ist es ganz gut, dass ich nicht helfen soll. Ich muss jetzt für Rolf da sein.
»Was machen die denn jetzt?
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