Mopsküsse: Roman (German Edition)
einer Mischung aus Wut und Enttäuschung zerriss sie das Papier in tausend kleine Fetzen, die auf den Küchenboden hinunterschneiten. Doch auch als sie nach dem Stein des Anstoßes noch sämtliche Werbesendungen zerrissen hatte, fühlte sie sich noch nicht besser. Jetzt konnte sie sich einmal beweisen, ob Yoga wirklich so gut für die Seele war, wie sie es sich einbildete. Seit sie nämlich vor drei Wochen aus Versehen statt beim Pilates in einer Yoga-Stunde gelandet war, fühlte sie sich wie verwandelt. Sie hatte gleich gemerkt, dass Yoga genau das war, was sie im Augenblick brauchte. Sogar das Mantra-Singen und Meditieren, das den eigentlichen Übungen vorausging, hatte sie begeistert. Bereits nach der ersten Stunde hatte sie sich so ruhig und ausgeglichen gefühlt wie seit Jahren nicht mehr. Sie war so stark von den Worten ihres Yoga-Trainers über den Einzelnen und sein Eingebundensein in das Ganze ergriffen gewesen, dass ihr ihre Probleme plötzlich ein ganzes Stück kleiner und unbedeutender erschienen. Seitdem ging sie spätestens jeden zweiten Tag ins Studio, und auch für zuhause war sie bestens ausgestattet. In ihrer Schlafzimmerkommode stapelten sich neben der Yogamatte nicht nur entsprechende Outfits, sondern sogar eine kleine Yoga-Bibliothek, die von Jivamukti Yoga. Übungen zur Befreiung von Körper und Geist über Mantras – die Sprache der Götter bis zu Learn Sanskrit in 30 days through English reichte. Wenn Antonella das wüsste! Bisher hatte sie ihr nämlich noch nichts von ihrer neuen Leidenschaft erzählt, weil sie keine Lust hatte auf die zu erwartende spöttische Reaktion. In ihrem Schlafzimmer zog sie sich um, rollte die Matte aus und legte eine Mantra-CD auf. Als sie gerade die Räucherstäbchen angezündet hatte, klingelte es an der Tür. Mist, aber sie musste wohl hingehen. Vielleicht hatte Antonella ihren Schlüssel vergessen.
»Ja bitte?«, fragte sie höflich den Mann vor der Tür.
»Ähm … Guten Tag, mein Name ist Adrian Stern. Ich wollte eigentlich zu Frau De Anna.«
Dr. Stern hatte bei seinem ersten »Kontrollbesuch« mit allem möglichen gerechnet. In seinen schlimmsten Gedanken hatte er schon Hugo vor sich gesehen, der in einem Chaos aus Möbeln und Umzugskisten halbverhungert vor sich hinvegetieren musste. Aber eine kleine, blonde, barfüßige Person in engelsgleichem weißen Outfit, bei dem nur die Flügel fehlten? Und wonach roch es hier eigentlich? Er hatte vorgehabt, seine unangenehme Pflicht mit etwas Erfreulichem zu verbinden und seine charmant-chaotische neue Klientin zum Essen einzuladen, aber wo steckte die denn?
»Ach, nett, Sie kennen zu lernen. Ich bin Georgia Holtau, Antonellas Mitbewohnerin. Antonella ist gerade beim Sport, aber kommen Sie doch rein.« Ganz offensichtlich war das der Nachlassverwalter. Aber hatte Antonella nicht behauptet, dass der ein richtig »fieser, spießiger Typ« sei? Der Mann, der jetzt zögernd die Wohnung betrat, sah keineswegs fies aus. Und sein Anzug mochte zwar klassisch sein, als Spießer würde sie ihn deshalb nicht gleich bezeichnen.
»Ich bin mir nicht sicher, ob Sie mit den Bedingungen des Testaments von Frau De Annas Großtante vertraut sind? Ich will Sie auch nicht lange aufhalten, aber würde mich gerne vom Wohlergehen Hugo von Hofmannsthals überzeugen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
Georgia musste lächeln. Die gedrechselte Sprache war sicher eine Erklärung für Antonellas Urteil. Aber alles in allem machte dieser Dr. Stern doch einen sehr sympathischen Eindruck. »Sicher, kein Problem.«
»Wie lange wohnen Sie denn schon hier?«
»Seit ein paar Wochen. Ich bin normalerweise als Unternehmensberaterin ständig im Ausland unterwegs. Aber zurzeit mache ich ein kurzes Sabbatical in Frankfurt, und da wollte ich mal eine komplette Klimaveränderung, wenn man es so sagen kann.«
Während Georgia eine Konstantin-freie Version der letzten Wochen zum Besten gab, sah Adrian Stern sich interessiert um. Die Wohnung war kaum wiederzuerkennen. Von der gemütlichen Küche führte Georgia ihn charmant plaudernd in das Wohnzimmer: »Zwei Zimmer sind noch nicht fertig, aber der Rest ist uns, finde ich, ganz gut gelungen. In meinem Zimmer und hier im Wohnzimmer haben wir die alten Möbel behalten. Ist dieses Fünfzigerjahre-Ensemble nicht einfach entzückend?«
Adrian sah sich fasziniert um. Trotz der alten Möbel machte der Raum einen durch und durch modernen Eindruck. Wenn er sich recht erinnerte, war dieses Zimmer beige-braun
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