MoR 01 - Die Macht und die Liebe
Entschuldigung, Gaius Julius, daß ich dich noch ein weiteres Mal bemühen muß«, sagte Sulla. Er überreichte Caesar eine kleine Papierrolle. »Dieses Schreiben ist soeben aus Circei eingetroffen, und ich dachte, ich sollte dich sofort informieren.«
Mit regloser Miene und sehr langsam las Caesar das Schreiben. Sulla wußte, daß er jedes einzelne Wort genau abwog.
»Das ist der dritte Todesfall.« Caesar schien regelrecht erleichtert. »Dein Haus hat schwere Verluste erlitten, Lucius Cornelius. Mein aufrichtiges Beileid.«
»Ich nehme an, daß du Clitumnas Testament aufgesetzt hast«, sagte Sulla, »sonst hätte ich dich nicht belästigt, das versichere ich dir.«
»Ja, ich habe mehrere Testamente für sie gemacht, das letzte kurz nach Nikopolis’ Tod.« Caesars schönes Gesicht, seine klaren, blauen Augen, sein ganzes Auftreten wirkten betont sachlich und unverbindlich. »Bitte sage mir ehrlich, Lucius Cornelius, was du für deine Stiefmutter empfunden hast.«
Hier war sie, die brüchigste Stelle seines Planes. Er mußte so sicher und vorsichtig auftreten wie eine Katze auf einem mit Scherben übersäten Fensterbrett im zwölften Stock eines Mietshauses. »Ich erinnere mich, schon früher mit dir über dieses Thema gesprochen zu haben, Gaius Julius«, sagte Sulla, »aber ich bin froh, daß ich mich ausführlicher darüber äußern kann. Clitumna war eine alberne, dumme und vulgäre Frau, aber ich hatte sie trotzdem gern. Mein Vater« - hier zuckte Sullas Gesicht - »war ein unheilbarer Trinker, das Leben mit ihm war ein einziger Alptraum. Wir waren nicht einfach verarmter Adel, Gaius Julius: Nichts erinnerte mehr an unsere Herkunft. Wir konnten uns nicht einmal einen einzigen Sklaven leisten. Hätte sich nicht ein alter Lehrer, der auf dem Marktplatz unterrichtete, aus Mitleid meiner angenommen, hätte ich, ein Patrizier aus dem Geschlecht der Cornelier, nicht einmal Lesen und Schreiben gelernt. Ich habe keine militärische Grundausbildung auf dem Marsfeld erhalten, ich habe nicht Reiten gelernt, ich war nie als Schüler eines Anwalts bei Gerichtsverhandlungen dabei. Vom Militär, von der Rhetorik und vom öffentlichen Leben weiß ich nichts. Das ist die Schuld meines Vaters. Und deshalb... hatte ich Clitumna gern. Sie hat meinen Vater geheiratet und ihn und mich in ihr Haus aufgenommen. Wer weiß - hätten mein Vater und ich weiter in der Subura gelebt, wäre ich vielleicht eines Tages wahnsinnig geworden und hätte ihn ermordet. So jedoch hat Clitumna bis zu seinem Tod die Hauptlast getragen und mich befreit. Ja, ich hatte sie gern.«
»Sie hatte dich auch gern, Lucius Cornelius«, sagte Caesar. »Ihr Testament ist einfach und klar. Sie hat alles dir hinterlassen.«
Jetzt war äußerste Vorsicht angebracht! Er durfte nicht zuviel Freude zeigen, aber auch nicht zuviel Kummer! Caesar war sehr klug und besaß große Menschenkenntnis.
»Hat sie mir so viel hinterlassen, daß ich Senator werden kann?« fragte er und sah Caesar direkt in die Augen.
»Mehr als das.«
Sulla sackte in sich zusammen. »Ich - kann es - nicht glauben!« sagte er. »Bist du ganz sicher? Ich weiß, daß sie dieses Haus hatte und das Landhaus in Circei, aber ich dachte, sonst sei nicht mehr viel da.«
»Oh nein, sie war eine sehr reiche Frau. Sie hat Geld in Aktien investiert und in Wertpapiere aller möglichen Unternehmen und in’ ein Dutzend Handelsschiffe. Ich rate dir, die Schiffsanteile und die Wertpapiere zu verkaufen und den Erlös für Grundstückskäufe zu verwenden. Du mußt deinen Besitz tadellos in Ordnung haben, damit die Zensoren zufrieden sind.«
»Es ist wie ein Traum!« sagte Sulla.
»Ich verstehe, daß es dir so vorkommen muß, Lucius Cornelius. Aber sei versichert, es ist wirklich wahr.« Caesar wirkte ganz ruhig. Offensichtlich hegte er keinerlei Verdacht gegen Sulla.
»Das Schicksal ist mir doch gnädig«, sagte Sulla mit Verwunderung in der Stimme. »Ich hätte nicht geglaubt, daß ich das jemals sagen könnte. Ich werde Clitumna vermissen, aber ich hoffe, daß man später einmal sagen wird, ihr größtes Geschenk an die Welt sei ihr Tod gewesen. Denn ich habe vor, eine Zierde meines Standes und des Senats zu sein.« Klang das echt?
»Ich glaube auch, Lucius Cornelius, daß es sie glücklich machen würde, wenn sie wüßte, daß du ihr Erbe so nutzen willst«, sagte Caesar. Er faßte Sullas Worte genau in der beabsichtigten Weise auf. »Und darf ich annehmen, daß es keine lärmenden Feste mehr geben
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