Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
MoR 01 - Die Macht und die Liebe

MoR 01 - Die Macht und die Liebe

Titel: MoR 01 - Die Macht und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
Vom Netzwerk:
kurze Stück bis zur Spitze des Felsens auf den Armen.
    Die richtige Stelle hatte er bereits ausgesucht und mit einem Stein markiert, als er Clitumna in ihre Villa gebracht hatte. Er fand sie ohne Schwierigkeiten wieder. Unter Anspannung aller Kräfte schleuderte er Clitumna hinaus. Ihre Gewänder blähten sich im Wind, und sie stürzte wie ein großer, toter Vogel tief hinab auf die Felsen. Dort blieb sie liegen, ein formloses Bündel, das die See an Land gespült haben mochte. So würde man sie finden, und es war wichtig, daß sie gefunden wurde.
    Wie am Morgen hatte er das Maultier in der Nähe eines Baches angebunden, aber ehe er es zum Trinken führte, watete er voll bekleidet ins Wasser und wusch die letzten Spuren seiner Stiefmutter Clitumna ab. Danach blieb nur noch eines zu tun. Er zog einen kleinen Dolch aus dem Gürtel und ritzte sich auf der linken Seite eine Schnittwunde in die Stirnhaut, knapp unter dem Haaransatz. Wie alle Kopfwunden blutete der Schnitt heftig. Aber das war erst der Anfang. Die Wunde durfte nicht glatt und sauber aussehen. Also setzte er die Mittel- und die Ringfinger beider Hände rechts und links des Einschnitts an und zog, bis das Fleisch wulstig auseinanderklaffte. Blut spritzte auf sein schmutziges, triefend nasses Festgewand und verteilte sich auf dem durchnäßten Stoff rasch. So! Gut! Aus der Gürteltasche nahm er ein weißes Stück Leinen heraus, preßte es auf den Schnitt in der Stirn und band es fest. Dann holte er das Maultier.
    Er ritt die ganze Nacht durch und trieb das Maultier erbarmungslos an, wenn es stehenbleiben wollte. Das Maultier mochte seinen Reiter, deshalb war es gutwillig. Es mochte das Trensengebiß, das viel angenehmer war als die Kandare, es mochte Sullas Schweigsamkeit und Fürsorge, es mochte seine Ruhe. Ihm zuliebe trabte und galoppierte es, fiel in Schritt und beschleunigte wieder, sobald es konnte. Das Maultier wußte nichts von der Frau, die mit gebrochenem Genick auf den rauhen Felsen unterhalb ihres großen, weißen Landhauses lag. Es spürte nur einen ungewöhnlich freundlichen Reiter.

    Eine Meile vor dem Stall stieg Sulla ab und nahm dem Maultier das Sattelzeug ab. Er warf es in die Büsche am Wegrand, gab dem Tier einen Klaps auf die Kruppe und scheuchte es in die Richtung seines Stalles. Er war sicher, daß es nach Hause finden würde. Aber als er zum Capena-Tor losmarschierte, folgte ihm das Maultier, und er mußte es schließlich mit ein paar Steinen vertreiben.
    In seinen Kapuzenmantel gehüllt, betrat Sulla Rom in dem Augenblick, als der Himmel sich im Osten perlgrau färbte. In neun Stunden zu vierundsiebzig Minuten war er von Circei nach Rom geritten, eine beachtliche Leistung für ein müdes Maultier und einen Mann, der nie zuvor geritten war.
    Die Cacus-Treppe führte vom Circus Maximus auf den Cermalus hinauf, den nordwestlichen Teil des Palatins. Hier war noch der Geist der ursprünglichen Siedlung des Romulus lebendig: In einer kleinen, unauffälligen Höhle mit einer Quelle hatte die Wölfin die Zwillinge Romulus und Remus gesäugt. Die Höhle erschien Sulla der geeignete Ort, seine Verkleidung abzulegen. Er verbarg Mantel und Verband sorgfältig in einem hohlen Baum hinter dem Denkmal für den Genius Loci. Die Wunde begann sofort wieder zu bluten. Wie vom Donner gerührt sahen die wenigen Menschen in Clitumnas Straße, die so früh schon auf den Beinen waren, den vermißten Sulla herantaumeln: schmutzig, blutig und übel zugerichtet.
    In Clitumnas Haus war schon Leben. Seit man Hercules Atlas gefunden hatte, hatte man nach Sulla gesucht. Von allen Seiten eilten die Diener herbei, er wurde ins Bett gebracht und mit einem Schwamm abgetupft, kein Geringerer als Athenodorus aus Sizilien wurde gerufen, um die Wunde zu untersuchen, und Gaius Julius Caesar kam von nebenan und erkundigte sich, was geschehen sei. Der ganze Palatin war in Aufruhr.
    »Erzähle mir, was passiert ist.« Caesar setzte sich an sein Bett.
    Sulla sah wirklich krank aus. Um seine von Schmerz und Mattigkeit gezeichneten Lippen lag ein bläulicher Schimmer, seine durchsichtige Haut war noch blasser als sonst, und seine Augen waren vor Erschöpfung glasig und hatten breite rote Ränder.
    »Dumm war ich«, sagte Sulla. Das Sprechen fiel ihm sichtlich schwer. »Ich hätte mich nicht mit Hercules Atlas anlegen sollen. Ich habe nicht damit gerechnet, daß ein Mann so stark sein kann, ich dachte, er mache nur Spaß. Er war stockbetrunken, und er... er trug mich einfach

Weitere Kostenlose Bücher