MoR 01 - Die Macht und die Liebe
drängte Marius. Über zwanzig Jahre hatte er auf diesen Augenblick gewartet. Nun endlich konnte er seine Vorstellung von der römischen Armee der Zukunft in die Tat umsetzen.
»Wir teilen uns auf. Aulus Manlius, du kümmerst dich um Maultiere, Karren, Ausrüstung, Troß, Verpflegung und Munition. Meine beiden Schwäger müssen jeden Tag eintreffen, sie werden dir helfen. Ich will, daß du Ende März fertig bist und nach Africa auslaufen kannst. Hol dir alle Hilfe, die du brauchst. Mein Vorschlag wäre, zuerst die Männer für den Troß zu suchen und dann die besten von ihnen als Hilfe bei der Arbeit einzusetzen. So sparst du Geld und bildest sie gleich aus.«
Der junge Sertorius sah Marius unverwandt an. Er war ganz offensichtlich von ihm fasziniert, während Sulla, der sich inzwischen an Marius gewöhnt hatte, vor allem von Sertorius fasziniert war. Nicht daß Sertorius sexuell attraktiv gewesen wäre, das nicht. Aber von ihm ging eine Kraft aus, die an einem so jungen Menschen überraschte. Auch physisch ließ er bereits die gewaltigen Kräfte erkennen, die er als Erwachsener haben würde, und vielleicht bestimmte das Sullas Eindruck. Sertorius war großgewachsen und bereits jetzt so muskulös, daß er untersetzt wirkte. Sein eckiger Kopf und der dicke Hals verstärkten diesen Eindruck. Besonders auffällig waren seine hellbraunen Augen: Aus tiefen Höhlen starrten sie ihr Gegenüber bezwingend an.
»Ich selbst will Ende April mit der ersten Abteilung Soldaten aufbrechen«, fuhr Marius fort. Er sah Sulla an. »Du wirst die restlichen Legionen und eine anständige Reiterei organisieren. Wenn du Ende Quintilis auslaufen kannst, bin ich zufrieden.« Er drehte sich zu Sertorius um und grinste. »Und dich halte ich auf Trab, Quintus Sertorius, verlaß dich darauf! Man soll mir nicht nachsagen, daß ich meine Verwandtschaft faulenzen lasse.«
Der Bursche lächelte langsam und gedankenverloren. »Ich liebe es, auf Trab gebracht zu werden, Gaius Marius.«
Das besitzlose Volk Roms strömte in Scharen zu den Anwerbestellen. Rom hatte nie zuvor etwas Vergleichbares erlebt. Und die Senatoren hatten nicht im Traum mit solch großem Zulauf aus einem Teil der Bevölkerung gerechnet, der in ihren Gedanken nur auftauchte, wenn das Getreide knapp war und es um des lieben Friedens willen geraten schien, die hungrigen Plebejermäuler mit billigem Getreide zu stopfen.
Innerhalb weniger Tage waren zwanzigtausend römische Vollbürger rekrutiert - aber Marius ließ die Anwerbestellen nicht schließen.
»Wer kommt, wird genommen«, sagte er zu Sulla. »Metellus hat sechs Legionen. Ich sehe nicht ein, warum ich weniger haben soll - zumal der Staat die Kosten trägt! Schließlich soll es bis auf weiteres die einzige Plebejerarmee bleiben, wenn wir unserem lieben Scaurus glauben dürfen. Und mein Instinkt sagt mir, daß Rom die beiden zusätzlichen Legionen noch brauchen wird. Dieses Jahr können wir sowieso keinen richtigen Feldzug mehr beginnen, konzentrieren wir uns also lieber auf Ausbildung und Ausrüstung der Truppen. Mich freut vor allem, daß diese sechs Legionen ausschließlich aus römischen Bürgern bestehen, und nicht aus italischen Hilfstruppen. Das heißt, wir haben für künftige Jahre immer noch die italischen Plebejer in Reserve.«
Alles verlief nach Plan, was Sulla nicht weiter überraschte, da schließlich Gaius Marius in das Feldherrenzelt eingezogen war. Ende März brach Aulus Manlius von Neapolis nach Utika auf, die Transportschiffe schwer beladen mit Maultieren, ballistae , Katapulten, Waffen, Sätteln, Zaumzeug und tausend anderen Dingen, die eine Armee erst in ein waffenstarrendes Ungetüm verwandeln. Sobald Aulus Manlius in Utika gelandet war, kehrten die Schiffe nach Neapolis zurück und setzten Gaius Marius mit den ersten beiden seiner sechs Legionen über. Sulla blieb in Italien. Er hatte die Aufgabe, die restlichen vier Legionen aufzustellen, sie auszurüsten und die Kavallerie aufzutreiben. Die Suche nach Reitern führte ihn schließlich gen Norden, nach Gallia Cisalpina jenseits des Po. Dort fand er tüchtige Reiter gallisch-keltischer Abstammung.
Nicht nur die plebejischen Soldaten waren neu an Marius’ Armee, es gab auch noch andere Veränderungen. Da die Plebejer nie zuvor gedient hatten und deshalb nicht wußten, wie eine Armee aufgebaut war, konnten sie sich organisatorischen Neuerungen nicht widersetzen oder über sie murren. Der Manipel, die alte taktische Einheit, war seit Jahren zu klein
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