MoR 01 - Die Macht und die Liebe
anzuwerben. Das ist skrupellos, unsinnig und unannehmbar!«
Die Senatssitzung war gut besucht. Es war Scaurus und anderen einflußreichen Senatoren gelungen, über zweihundertachtzig der dreihundert Senatoren herbeizurufen. Einige hatten eigens das Krankenlager verlassen. Jetzt saßen sie auf ihren kleinen Klappstühlen in den ansteigenden Rängen zu beiden Seiten der curia hostilia wie eine große Schar schneeweißer Hennen, die sich zum Schlafen auf ihren Hühnerstangen niedergelassen haben. Die purpurgesäumten Togen der ehemaligen hohen Magistrate waren die einzige Abwechslung in der blendendweißen, schattenlosen Masse. Die zehn Volkstribunen hatten zwischen den Rängen auf ihrer langen hölzernen Bank neben den amtierenden Magistraten Platz genommen. Die Magistrate - die zwei kurulischen Ädilen, die sechs Prätoren und die beiden Konsuln - saßen aufgrund der Würde ihrer hohen Ämter getrennt von den übrigen Senatoren. Auf einer erhöhten Bühne am Ende des Saals, gegenüber dem gewaltigen, doppelflügligen Bronzeportal, durch das man die Curia betrat, standen die beiden eleganten Elfenbeinstühle der Konsuln.
Auf der Bühne saß neben Konsul Cassius, ein kleines Stück zurückgesetzt, Gaius Marius. Er unterschied sich von den anderen nur durch seine Haltung: Ruhig, zufrieden und mit halbgeschlossenen Augen hörte er Scaurus zu. Die Tat war getan. Er hatte seine Vollmacht. Er konnte es sich leisten, großzügig zu sein.
»Der Senat muß alles tun, was er kann, um die Macht einzuschränken, die Gaius Marius soeben den Plebejern gegeben hat. Die Plebejer sollen bleiben, was sie immer waren - hungrige Mäuler, die zu nichts zu gebrauchen sind und für die wir, die Privilegierten, sorgen, die wir ernähren und tolerieren müssen - ohne im Gegenzug eine Dienstleistung von ihnen zu verlangen. Denn solange die Plebejer nicht für uns arbeiten und keine Aufgabe haben, sind sie nichts weiter als ein Anhängsel, das Weib Roms, das nicht arbeitet, aber auch keine Macht und keine Stimme besitzt. Sie können nichts von uns fordern, das wir ihnen nicht freiwillig geben, denn sie tun nichts. Sie sind nur da.
Wir können uns bei Gaius Marius bedanken, wenn wir jetzt mit den grotesken Problemen einer Armee von Plebejern konfrontiert werden, einer Armee von Berufssoldaten, wie ich sie wohl nennen muß - von Männern, die kein anderes Einkommen haben, keine andere Verdienstmöglichkeit -, Männer, die dann wohl auch nach Abschluß eines Feldzuges in der Armee bleiben wollen und die den Staat enormes Geld kosten werden. Und, eingeschriebene Väter, Männer, die Mitsprache in der römischen Politik fordern werden, weil sie Rom helfen und weil sie für Rom arbeiten. Ihr habt das Volk gehört. Wir vom Senat, die wir den Staatsschatz verwalten und Roms öffentliche Gelder verteilen, müssen jetzt unsere Truhen öffnen und Waffen, Rüstungen und anderes notwendiges Kriegsgerät für die Armee des Gaius Marius kaufen. Das Volk hat uns auch aufgetragen, diese Soldaten regelmäßig zu bezahlen und nicht erst am Ende des Feldzugs, wenn man die Unkosten mit der Beute bestreiten kann. Das Geld, das es kostet, eine Armee von Bettlern ins Feld zu schicken, wird den Staat finanziell ruinieren, daran besteht kein Zweifel.«
»Unsinn, Marcus Aemilius!« unterbrach Marius ihn scharf. »Rom hat so viel Geld in seinen Truhen, daß es gar nicht weiß, wohin damit - denn, patres conscripti , ihr gebt das Geld nie aus! Ihr hortet es nur.«
Die Senatoren begannen zu murren, und einige Gesichter liefen rot an. Scaurus hob den rechten Arm und bat um Ruhe. »Es stimmt«, sagte er, »Roms Truhen sind voll. Aber das ist auch richtig so! Die Truhen sind voll trotz der Unkosten der öffentlichen Arbeiten, die ich als Zensor begonnen habe. Es gab in der Vergangenheit allerdings Zeiten, in denen unsere Truhen gähnend leer waren. Die drei Kriege gegen Karthago brachten uns an den Rand des finanziellen Ruins. Was, so frage ich euch, ist also falsch daran, wenn wir Vorsorge treffen, daß so etwas nie wieder passiert? Solange Roms Truhen voll sind, blüht Rom.«
»Rom wird noch mehr blühen, wenn die besitzlosen Bürger Geld in der Tasche haben, das sie ausgeben können«, sagte Marius.
»Das ist nicht wahr, Gaius Marius!« rief Scaurus erregt. »Die Plebejer werden ihr Geld verprassen. Es wird aus dem Umlauf verschwinden, statt sich zu vermehren.«
Scaurus verließ seinen Stuhl in der ersten Reihe und stellte sich vor das große bronzene Portal. Dort
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