MoR 01 - Die Macht und die Liebe
Vater!« Der junge Caesar versuchte mannhaft, sich seine Gefühle nicht anmerken zu lassen, doch er konnte sie nicht vollständig aus seiner Stimme verbannen. Er kam quer durch den Raum auf seinen Vater zu, nahm seine Hand und küßte sie, dann trat er noch näher und zog seinen Vater an sich, die Arme um die mageren Schultern gelegt, die Wange gegen das leblose silberne Haar gepreßt.
»Weine nicht, mein Sohn«, krächzte Caesar. »Bald ist es vorbei. Morgen kommt Athenodorus Siculus.«
Ein Römer weinte nicht. Zumindest galt es als unrömisch, zu weinen. Dem jungen Caesar erschien diese Auffassung von gutem Benehmen zwar falsch, doch er drängte seine Tränen zurück, ließ seinen Vater los und setzte sich an sein Bett, nahe genug, daß er die völlig abgemagerte Hand seines Vaters in der seinen halten konnte.
»Vielleicht wird Athenodorus wissen, was zu tun ist«, sagte er.
»Athenodorus wird feststellen, was wir alle bereits wissen. Ich habe ein unheilbares Geschwür in meiner Kehle«, antwortete sein Vater. »Deine Mutter hofft auf ein Wunder, doch ich weiß, daß mein Leiden unheilbar ist und daß auch Athenodorus nichts daran ändern kann. Ich habe nur versucht, so lange am Leben zu bleiben, bis alle Mitglieder meiner Familie gut versorgt und glücklich verheiratet sind.« Caesar machte eine Pause, und seine freie Hand tastete nach einem Becher Wein, dem einzigen Genuß, der ihm geblieben war. Ein winziger Schluck oder zwei, dann fuhr er fort.
»Du bist der letzte, Gaius«, flüsterte er. »Was soll ich für dich erhoffen? Vor Jahren gab ich dir die Erlaubnis, deine Frau selbst auszuwählen - du hast bis jetzt keinen Gebrauch davon gemacht. Ich denke, nun wäre es an der Zeit. Es würde mir das Sterben leichter machen, wenn ich wüßte, daß du gut verheiratet bist.«
Der junge Gaius Caesar nahm die Hand seines Vaters und preßte sie an seine Wange, dabei stützte er ganz vorsichtig den Arm des gebrechlichen Mannes. »Ich habe sie gefunden, Vater«, sagte er. »Ich habe sie heute abend gefunden - ist das nicht seltsam?«
»Bei Publius Rutilius?« fragte Caesar zweifelnd.
Der junge Mann grinste. »Ich glaube, er hat den Ehestifter gespielt!«
»Eine seltsame Rolle für einen Konsul.«
»Ja.« Der junge Caesar holte tief Atem. »Hast du von seiner Nichte, der Stieftochter von Marcus Aurelius, gehört?«
»Die bekannte Schönheit? Ich denke, jeder hat von ihr gehört.«
»Das ist sie. Das ist das Mädchen, das ich heiraten will.«
Der alte Caesar sah beunruhigt aus. »Deine Mutter hat mir erzählt, daß die Reihe ihrer Freier endlos ist und daß einige der reichsten und mächtigsten Männer Roms darunter sind - wie ich höre, sogar einige, die bereits verheiratet sind.«
»Das stimmt alles«, erwiderte sein Sohn. »Aber ich werde sie heiraten, keine Sorge!«
»Wenn du recht hast, wirst du dir eine schöne Last aufbürden«, sagte der besorgte Vater sehr ernst. »Solch ungewöhnliche Schönheiten sind nie gute Ehefrauen. Sie sind keck, verwöhnt, anspruchsvoll und eigensinnig. Such dir lieber ein einfacheres Mädchen.« Ein beruhigender Gedanke schoß ihm durch den Kopf, und er entspannte sich. »Zum Glück bist du ein absoluter Niemand im Vergleich zu Lucius Licinius Orator oder Gnaeus Domitius dem Jüngeren, auch wenn du Patrizier bist. Marcus Aurelius wird dich nicht einmal in Erwägung ziehen, da bin ich mir sicher. Also hänge dein Herz nicht allzusehr an dieses Mädchen.«
»Sie wird mich heiraten, tata, warte nur ab!«
Und von dieser Überzeugung konnte Gaius Julius Caesar seinen Sohn beim besten Willen nicht abbringen.
Aurelia lag in der dicht verhängten Sänfte, die sie von Onkel Publius’ Haus zu dem ihrer Eltern zurückbrachte. Sie lag bequem auf dem Bauch und dachte an den jungen Gaius Julius Caesar, während die Sänfte sich schaukelnd hinauf- und hinunterbewegte. Wie wundervoll er war, wie vollkommen! Würde er sie heiraten wollen? Was würde Cornelia, die Mutter der Gracchen, denken?
Cardixa, die mit ihrer Herrin in der Sänfte saß, lehnte aufrecht in einer Ecke und hielt eine Kerze, die von einem dünnen Alabasterschirm geschützt war. Im dämmerigen Licht betrachtete sie neugierig ihre seltsam verwandelte Herrin - nie zuvor hatte sie Aurelia so erlebt. Der sonst so straffe Körper räkelte sich entspannt, die Lippen waren nicht so fest zusammengepreßt, und die sahneweißen Augenlider verbargen, was in den Augen lag. Da Cardixa einen überaus scharfen Verstand besaß, wußte
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