MoR 01 - Die Macht und die Liebe
ohne Beweise.
»Bitte meine Schwester ins Arbeitszimmer«, sagte Drusus zum Hausverwalter, als er wieder daheim war.
Sein Haus stand an einem steilen Abhang auf dem höchsten Punkt des Palatin über dem Forum Romanum. Es war gerade vollendet worden, als Drusus, der Zensor, starb und galt allgemein als das schönste Haus Roms. Die Sicht von der Loggia auf der Vorderfront im obersten Stockwerk war atemberaubend. Das angrenzende Grundstück, die area flacciana , war unbebaut. Einst hatte dort das Haus von Marcus Fulvius Flaccus gestanden, auf der anderen Seite dieses Grundstücks lag das Anwesen von Quintus Lutatius Catulus Caesar.
Drusus’ Haus hatte nach römischer Art keine Fenster an den Außenseiten, denn sollte das Nachbargrundstück je wieder bebaut werden, würde dieses Haus direkt an Drusus’ Haus anschließen. An der Rückseite, die an den Clivus Victoriae grenzte, befand sich ein großes Holztor, daneben waren einige Wareneingänge. Der vordere Teil des Hauses mit seiner prachtvollen Aussicht war drei Stockwerke hoch, die Stützpfeiler waren tief in dem darunterliegenden Felsvorsprung verankert. Das oberste Stockwerk lag auf gleicher Höhe mit dem Clivus Victoriae, und dort wohnte die Familie. Vorratsräume, Küchen und die Räume der Dienerschaft waren in den darunterliegenden Geschossen untergebracht, die sich nicht über die volle Breite des oberen Stockwerkes erstreckten, weil der Felsvorsprung steil abfiel.
Die Wareneingänge an der Rückwand führten direkt in das Peristyl, den Säulengarten. Der Garten war so groß, daß sechs wunderschöne, großgewachsene Lotusbäume darin Platz fanden, die Scipio Africanus vor neunzig Jahren als Schößlinge aus Africa mitgebracht hatte. In jedem Sommer blühten sie in verschwenderischer Pracht, zwei in Rot, zwei in Orange und zwei in tiefem Gelb, und erfüllten über einen Monat lang das ganze Haus mit ihrem Duft. Später trugen sie zarte, farnähnliche Blätter, und im Winter waren sie kahl, so daß ungehindert Licht einfallen konnte. Ein langes, schmales Wasserbecken, mit weißem Marmor ausgekleidet, wurde von vier perfekt aufeinander abgestimmten Springbrunnen umgeben, einem in jeder Ecke, die der große Myron angefertigt hatte. An den Seiten des Beckens standen lebensgroße Statuen, ebenfalls von Myron, die Satyre, Nymphen, Artemis, Dionysos und Orpheus darstellten. Jede dieser Statuen war so kunstvoll bemalt, daß man beinahe glaubte, im nächsten Moment würde sie sich bewegen. Der ganze Garten wirkte auf den ersten Blick wie eine Versammlung der Unsterblichen.
Eine Kolonnade mit dorischen Säulen führte an den Seiten des Peristyls entlang, unterstützt von Holzsäulen, die gelb bemalt waren mit Basen und Kapitellen in leuchtenden Farben. Der Boden des Säulengangs bestand aus poliertem Terrazzo, die Wände waren in lebhaftem Grün, Gelb und Blau gehalten. Zwischen den erdroten Wandpfeilern befanden sich einige der schönsten Malereien der Welt: ein Kind mit Trauben von Zeuxis, der dem Wahnsinn verfallene Ajax von Parrhaslos, einige nackte männliche Gestalten von Timanthes, ein Bildnis Alexanders des Großen von Apelles, und ein Pferd, ebenfalls von Apelles, das so täuschend echt wirkte, daß man von weitem glauben konnte, es wäre an der Wand festgebunden.
Entlang der Wand standen die Ahnenschreine mit den Wachsmasken von Livius Drusus’ Vorfahren, sie waren auf das Sorgfältigste erhalten. Bemalte Steinpfeiler - Hermen genannt, da sie mit aufgerichteten Phallen verziert waren - trugen Büsten von Ahnen und Göttern, von mythischen Frauen und griechischen Philosophen. Alle Büsten waren meisterhaft bemalt, ebenso wie die lebensgroßen Statuen, die um das impluvium , das Wasserbecken in der Mitte, und entlang der Wände aufgestellt waren. Große silberne und goldene Kronleuchter hingen von der unvorstellbar hohen Decke herab, die als sternenübersäter Himmel bemalt war, umgeben von vergoldeten Stuckornamenten, und auf dem Boden standen Kerzenhalter, die sieben oder acht Fuß hoch waren. Das farbige Mosaik des Fußbodens zeigte den feiernden Bacchus, umgeben von seinen Bacchantinnen, die tanzten und tranken, Wild fütterten und Löwen an ihrem Wein schlürfen ließen.
Doch Drusus hatte keinen Blick für all die Pracht, die ihn umgab, denn er war von klein auf daran gewöhnt und zudem - anders als sein Vater und sein Großvater, die einen ausgezeichneten Kunstgeschmack besessen hatten - nicht sehr empfänglich für schöne Dinge.
Der Verwalter
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