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MoR 01 - Die Macht und die Liebe

MoR 01 - Die Macht und die Liebe

Titel: MoR 01 - Die Macht und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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Freiern, Odysseus’ Rückkehr zwanzig Jahre später - so stellte sie sich die Liebe vor. Sie stattete Odysseus mit dem Gesicht eines jungen Mannes aus, den sie ein paarmal auf der Loggia des unterhalb liegenden Hauses gesehen hatte. Es war das Haus von Gnaeus Domitius Ahenobarbus, und er hatte zwei Söhne, die Livia flüchtig kannte. Der junge Mann auf der Loggia war keiner von ihnen.
    Odysseus hatte rotes Haar und war Linkshänder. Hätte sie ein wenig genauer gelesen, wäre ihr vielleicht nicht entgangen, daß er sehr kurze Beine hatte, und da sie kurze Beine einfach abscheulich fand, hätte das ihrer Vorliebe für Odysseus vermutlich ein wenig Abbruch getan. Der Unbekannte von der Loggia war ebenfalls rothaarig, sehr groß und breitschultrig, unter der Toga ließ sich ein schlanker, kraftvoller Körper vermuten. Sein Haar glänzte in der Sonne, die Kopfhaltung war stolz wie die eines Königs. Sogar von Livias Loggia aus konnte man sehen, wie die Nase gebieterisch hervorragte, doch die Gesichtszüge waren nicht zu erkennen. Aber das war auch nicht nötig - Livia wußte auch so, daß seine Augen groß und leuchtend und grau waren, wie die von Odysseus.
    Wenn sie die flammenden Liebesgedichte von Meleagros las, sah sie sich selbst in der Rolle des Mädchens - oder des Jünglings -, das von dem leidenschaftlichen Dichter verführt wurde. Und der Dichter war stets der junge Mann auf Ahenobarbus’ Balkon. Dachte sie dagegen an Caepio, was selten vorkam, geschah dies mit einer angewiderten Grimasse.

    »Livia Drusa, dein Bruder möchte dich unverzüglich in seinem Arbeitszimmer sprechen«, riß der Verwalter sie aus ihren Träumen heraus. Sie stand gerade auf der Loggia und hielt Ausschau nach dem rothaarigen Unbekannten, sie wäre so gerne noch geblieben. Doch ihren Bruder durfte sie nicht warten lassen. Sie wandte sich um und folgte dem Verwalter.
    Drusus saß an seinem Schreibtisch und blätterte in Papieren. Als sie eintrat, sah er auf und musterte seine Schwester mit einem nachsichtigen, nicht sehr interessierten Gesichtsausdruck.
    »Setz dich«, sagte er und deutete auf einen Stuhl.
    Livia setzte sich und betrachtete ihren Bruder ebenso uninteressiert. Sie hatte Drusus niemals lachen gehört, allenfalls den Anflug eines Lächelns an ihm wahrgenommen. Das gleiche konnte er von ihr sagen.
    Leicht beunruhigt registrierte sie, daß Drusus sie genauer betrachtete als sonst. Sie konnte nicht wissen, daß er das stellvertretend für den jungen Caepio tat.
    Ja, sie war ein hübsches kleines Ding, dachte er. Sie war klein, hatte aber glücklicherweise keine kurzen Beine wie so viele andere Familienmitglieder. Ihre Gestalt war entzückend, sie hatte volle, hohe Brüste, eine schmale Taille, runde Hüften. Ihre Hände und Füße waren zart und schmal - ein Zeichen von Schönheit - und die Nägel gepflegt, nicht abgekaut. Das Gesicht war herzförmig, die Nase besaß die richtige Länge und war leicht gebogen. Ihr Mund und ihre Augen entsprachen dem Schönheitsideal, die Augen waren sehr groß, der Mund klein und rot wie eine Rosenknospe. Augen, Wimpern, Brauen und das dichte Haar schimmerten schwarz, und sie trug ihr Haar anmutig frisiert.
    In der Tat, Livia Drusa war hübsch, wenn auch nicht annähernd so hübsch wie Aurelia. Bei dem Gedanken an Aurelia zog sich Drusus’ Herz schmerzvoll zusammen. Sofort nach Ankündigung ihrer Heirat mit Julius Caesar hatte er an Quintus Servilius geschrieben. Die Aurelier waren zwar eine anerkannte Familie, doch mit den Serviliern konnten sie sich weder im Rang noch im Reichtum messen.
    »Meine Liebe, ich habe einen Ehemann für dich gefunden«, teilte er ihr ohne Umschweife mit.
    Livia erschrak, doch es gelang ihr, keine Miene zu verziehen. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, dann fragte sie: »Wer ist es, Marcus Livius?«
    »Der beste aller guten Männer, ein wunderbarer Freund! Der junge Quintus Servilius.«
    Ihr Gesicht spiegelte grenzenloses Entsetzen. Sie öffnete ihren Mund, versuchte zu sprechen, brachte aber keinen Ton heraus.
    »Was ist los?« fragte er verwirrt.
    »Ich kann ihn nicht heiraten«, flüsterte sie.
    »Warum nicht?«
    »Er ist widerlich... abstoßend!«
    »Das ist lächerlich!«
    Sie schüttelte den Kopf, immer wilder. »Ich werde ihn nicht heiraten, auf keinen Fall!«
    Drusus kam ein schrecklicher Gedanke, seine Mutter fiel ihm ein. Er sprang auf, ging um den Tisch herum und beugte sich über sie. »Hast du jemanden getroffen?«
    Livia hob den Kopf und

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