MoR 01 - Die Macht und die Liebe
überrascht, daß sein Kuß erwidert wurde. Dann wechselte er noch ein paar Sätze mit ihr.
»Und deine Schwester Livia Drusa - freut sie sich?« fragte Servilia, als er aufstand und gehen wollte.
Drusus blieb wie angewurzelt stehen. »Sie freut sich sehr«, sagte er, und dann fügte er ohne weitere Überlegung hinzu: »Leider fühlt sie sich im Moment nicht wohl.«
»Oh, das - tut mir leid! Sag ihr bitte, daß ich sie besuchen komme. Wir werden Schwägerinnen sein, und das gleich doppelt, aber mir wäre es noch lieber, wenn wir Freundinnen sein könnten.«
Er lächelte. »Ich danke dir.«
Caepio wartete ungeduldig im Arbeitszimmer seines Vaters.
»Ich bin hoch erfreut«, sagte Drusus, während er sich setzte. »Deine Schwester ist entzückt von der Verbindung.«
»Ich habe dir ja gesagt, daß sie dich sehr gern hat«, meinte Caepio. »Aber wie hat Livia Drusa die Neuigkeiten aufgenommen?«
Nun war Drusus vorbereitet. »Sie hat sich sehr gefreut«, log er. »Unglücklicherweise liegt sie mit Fieber zu Bett. Der Arzt war schon da. Er ist ein wenig besorgt. Anscheinend gibt es Komplikationen, und er befürchtet, es könnte ansteckend sein.«
»Ihr Götter!« rief Caepio und wurde blaß.
»Nun, es wird schon nicht so schlimm sein«, beruhigte Drusus ihn. »Du magst sie sehr, Quintus Servilius, nicht wahr?«
»Mein Vater meint, ich könnte keine Bessere wählen. Mein Vater sagt, daß ich einen ausgezeichneten Geschmack habe. Hast du ihm erzählt, wie gern ich sie habe?«
»Ja.« Drusus lächelte. »Es war schon seit einigen Jahren ziemlich deutlich, weißt du.«
»Ich habe heute einen Brief von meinem Vater bekommen. Er schreibt, daß Livia sowohl reich sei als auch von hohem Rang. Und er findet sie nett.«
»Nun, sobald es ihr wieder besser geht, werden wir zusammen essen und über die Hochzeit sprechen. Anfang Mai wäre gut, hin? Vor der Unglückszeit.« Er stand auf. »Ich kann leider nicht länger bleiben, Quintus Servilius. Ich muß nach meiner Schwester sehen.«
Sowohl Caepio als auch Drusus waren gewählte Militärtribunen und würden mit Gnaeus Mallius Maximus nach Gallia Transalpina ziehen. Doch während Sextus Caesar nicht einmal für die Hochzeit seines Bruders Urlaub bekommen hatte, waren Caepio und Drusus noch gar nicht einberufen worden. Rang, Reichtum und die richtigen politischen Ansichten machten sich eben bezahlt. Drusus sah keine Schwierigkeiten für eine Doppelhochzeit Anfang März, obwohl die beiden Bräutigame dann schon mit militärischen Angelegenheiten beschäftigt sein würden, und selbst wenn die Armee zu dieser Zeit bereits auf dem Weg nach Gallien sein sollte, würde es keine Probleme geben - sie konnten sie jederzeit einholen.
Drusus ordnete an, weder Caepio noch Servilia zu seiner Schwester zu lassen. Außerdem sollte sie bis auf weiteres nur noch ungesäuertes Brot und Wasser erhalten. Fünf Tage lang suchte er sie nicht auf, dann ließ er sie in sein Arbeitszimmer bringen.
Sie kam auf etwas unsicheren Füßen, die Haare durcheinander, und blinzelte in der ungewohnten Helligkeit. Ihren Augen sah man an, daß sie kaum geschlafen hatte, aber Spuren langen Weinens konnte ihr Bruder nicht an ihr entdecken. Ihre Hände zitterten, ebenso ihre Lippen, und die Unterlippe war zerbissen.
»Setz dich«, sagte Drusus knapp.
Sie setzte sich.
»Wie denkst du inzwischen über die Heirat mit Quintus Servilius?«
Sie begann am ganzen Körper zu zittern, alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. »Will nicht«, sagte sie.
Ihr Bruder beugte sich nach vorn. »Livia Drusa, ich bin das Oberhaupt unserer Familie. Ich habe uneingeschränkte Gewalt über dein Leben, ich habe sogar Gewalt über deinen Tod. Zufällig mag ich dich sehr. Das bedeutet, daß ich dich nur ungern verletze, es bekümmert mich, dich leiden zu sehen. Doch wir sind beide Römer. Das bedeutet alles für mich. Es bedeutet mir mehr, als du mir bedeutest. Mehr als irgend jemand mir je bedeuten kann! Es tut mir leid, daß du meinen Freund Quintus Servilius nicht magst. Aber du wirst ihn heiraten. Als Römerin hast du mir zu gehorchen. Quintus Servilius ist der Mann, den unser Vater für dich ausgesucht hat, ebenso wie sein Vater Servilia Caepionis als Ehefrau für mich ausgesucht hat. Eine Zeitlang wollte ich mir eine Frau meiner Wahl nehmen, aber die Ereignisse haben bewiesen, daß mein Vater - möge sein Schatten in Frieden wandeln - klüger war als ich. Außerdem müssen wir an die Schande denken, die unsere Mutter über uns
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