MoR 01 - Die Macht und die Liebe
Kreation erkannte - ein Mann mit Sullas Herkunft würde niemals das Gefühl für Stil und Formen verlieren. Ihre riesigen Augen lagen tief in den Höhlen, die von blauschwarzen Schatten umrahmt waren, und schauten ihn mit einem halbverrückten Ausdruck an. »Ich - ich - verstehe das nicht!« schrie sie auf. Sie wagte nicht, sich von der Stelle zu rühren. Ihr Blick hing immer noch an ihm, doch nicht mehr leidenschaftlich, sondern eher so, wie eine Maus das Lächeln auf dem Gesicht einer Katze beobachtet, mit der unausgesprochenen Frage: Freund oder Feind?
»Julilla«, begann er so geduldig er nur konnte. »Ich bin müde. Ich fühle immer noch das Schwanken des Schiffs unter meinen Füßen. Ich kenne kaum ein Gesicht in diesem Haus. Und da ich nicht betrunken bin, habe ich die normalen Hemmungen eines nüchternen Mannes, was körperliche Liebe in der Öffentlichkeit angeht.«
»Aber ich liebe dich!« protestierte sie.
»Das hoffe ich. Ich liebe dich ebenfalls. Aber alles hat seine Ordnung«, sagte er steif. Alles in seinem Leben in Rom sollte seine Ordnung haben, von seiner Frau und seiner Dienerschaft bis hin zu seiner politischen Karriere.
Während der zwei Jahre, die er fort gewesen war, hatte er oft an Julilla gedacht, aber irgendwie war ihm entfallen, was für eine Persönlichkeit sie war. Er hatte sich nur daran erinnert, wie sie aussah, wie aufregend wild und leidenschaftlich sie im Bett war. Er hatte an sie gedacht wie an eine Geliebte, und nicht wie an eine Ehefrau. Nun starrte er die junge Frau an, die vor ihm stand, und befand, daß sie eine weit bessere Geliebte als Ehefrau abgeben würde - er könnte sie von Zeit zu Zeit besuchen, aber er müßte nicht unter einem Dach mit ihr leben, müßte sie nicht mit seinen Freunden und Geschäftspartnern bekannt machen.
Ich hätte sie niemals heiraten dürfen, dachte er. Ich habe mich hinreißen lassen von einem Bild meiner Zukunft, die ich durch ihre Augen sah - denn nur das war sie gewesen, ein Medium, durch dessen Augen er seinen Weg in Fortunas Arme gesehen hatte. Mein Blick hätte weiter reichen müssen, dann hätte ich erkannt, daß es Dutzende adliger Römerinnen gab, die weit besser zu mir gepaßt hätten als dieses arme, überspannte Geschöpf, das sich aus lauter Liebe zu mir zu Tode hungern wollte. Allein, daß sie dies tat, ist schon eine unerhörte Maßlosigkeit. Ich habe nichts gegen Maßlosigkeit, solange ich nicht das Opfer bin. Warum nur habe ich mich immer mit Frauen eingelassen, die mich ersticken wollen?
Julillas Gesicht veränderte sich. Ihre Augen wandten sich ab von den beiden blassen, unbeweglichen Augäpfeln, die mit leidenschaftslosem Interesse auf sie gerichtet waren und weder Liebe noch Begehren zeigten. So stand es also! Oh, was sollte sie nur ohne seine Liebe tun? Wein! Treuer, tröstender Wein! Ohne sich darum zu kümmern, was er von ihr denken würde, ging sie zu einem kleinen Tisch, schenkte sich einen Becher mit unverdünntem Wein ein und leerte ihn in einem Zug. Dann erst erinnerte sie sich an ihn und wandte sich mit fragendem Blick um.
»Wein, Sulla?«
Er starrte sie an. »Du trinkst verdammt schnell! Schüttest du den Wein immer so in dich hinein?«
»Ich brauchte etwas zu trinken!« verteidigte sie sich. »Du bist so unfreundlich und kalt zu mir.«
Er seufzte. »Vermutlich bin ich das. Nimm’s mir nicht übel, Julilla. Ich werde mich ändern. Oder vielleicht solltest du dich ändern... Ja, gib mir Wein!« Er riß ihr den Becher, den sie ihm hinhielt, beinahe aus der Hand und trank. Doch er schüttete den Wein nicht in sich hinein und leerte den Becher beileibe nicht in einem Zug. »Als ich das letzte Mal von dir gehört habe... Du bist keine große Briefschreiberin, hm?«
Tränen rollten Julillas Gesicht herunter, sie weinte lautlos. »Ich hasse es, Briefe zu schreiben!«
»Das habe ich gemerkt«, erwiderte er trocken.
»Was war, als du das letzte Mal von mir gehört hast?« fragte sie. Sie schenkte sich ihren Becher zum zweiten Mal voll und leerte ihn wieder in einem Zug.
»Als ich das letzte Mal von dir gehört habe, sah es so aus, als hätten wir Kinder. Ein Mädchen und einen Jungen, richtig? Nicht, daß du dir die Mühe gemacht hättest, mir von dem Jungen zu schreiben, ich habe es von deinem Vater erfahren.«
»Ich war krank.« Sie weinte immer noch.
»Warum zeigst du mir die Kinder nicht?«
»Dort hinten!« Sie zeigte mit einer wilden Bewegung zum hinteren Teil des Peristyls.
Er ließ sie in ihrem
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