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MoR 01 - Die Macht und die Liebe

MoR 01 - Die Macht und die Liebe

Titel: MoR 01 - Die Macht und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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Verhalten - er zeigte plötzlich eine beunruhigende Neigung, seinem entschiedenen Konservatismus untreu zu werden. Scaurus vertrat nun die Meinung, daß er als pontifex wieder auf die traditionsgebundenen Pfade seiner Vorfahren zurückkehren werde. Sein Vater war ein unerbittlicher Feind von Gaius Gracchus gewesen, doch so, wie der junge Marcus Livius sich inzwischen auf dem Forum Romanum aufführte, konnte man meinen, er wäre ein zweiter Gaius Gracchus! Nach Scaurus’ Ansicht mußte man für das Verhalten von Marcus Livius mildernde Umstände geltend machen, vor allem die schrecklichen Erlebnisse von Arausio. War es nicht eine geradezu ideale Lösung, nun den jungen Marcus Livius Drusus in den Rat der Priester zu berufen?
    Die dreizehn anderen Priester einschließlich des Oberpriesters Delmaticus stimmten Scaurus zu, das sei in der Tat eine brillante Lösung ihres Problems. Der alte Ahenobarbus hatte ohnehin kurz vor seinem Tod das Amt eines Auguren für seinen jüngeren Sohn Lucius gesichert. Die Familie konnte also nicht behaupten, sie sei aller religiösen Ämter beraubt.
    Als der junge Gnaeus Domitius Ahenobarbus hörte, daß das frei gewordene Amt des Priesters an Marcus Livius Drusus vergeben werden sollte, war er sehr ungehalten. Genaugenommen war er außer sich vor Wut. Bei der nächsten Senatssitzung verkündete er, daß er den Senatsvorsitzenden Marcus Aemilius Scaurus wegen Verletzung seiner Amtspflichten als pontifex anklagen werde. Er bezog sich auf die Adoption eines patrizischen Kindes durch einen Plebejer. So eine Adoption mußte sowohl vom Rat der pontifices gutgeheißen werden als auch von den Liktoren der dreißig Kurien. Der junge Ahenobarbus behauptete nun, das Vorgehen von Scaurus in dieser Sache sei nicht korrekt gewesen. Der Senat wußte jedoch sehr wohl, woher diese plötzliche Genauigkeit in religiösen Angelegenheiten rührte, und ließ sich überhaupt nicht beeindrucken. Ebensowenig wie Scaurus, der aufstand und auf das rote Gesicht von Ahenobarbus hinunterstarrte.
    »Willst du, Gnaeus Domitius - nicht einmal pontifex - mir, Marcus Aemilius, pontifex und Vorsitzender des Senats, vorwerfen, ich hätte ein Sakrileg begangen?« fragte er in eisigem Ton. »Geh heim und spiele mit deinem neuen Spielzeug in der Versammlung der Plebs, bis du endlich erwachsen wirst!«
    Damit schien die Sache erledigt zu sein. Unter dem brüllenden Gelächter der Senatoren rauschte ein wütender Ahenobarbus aus dem Senat, verfolgt von höhnischen Zurufen wie »schlechter Verlierer!«.
    Doch Ahenobarbus gab sich noch nicht geschlagen. Scaurus hatte ihm gesagt, er solle mit seinem neuen Spielzeug, dem Volkstribunat, in der Versammlung der Plebs spielen, und genau das tat er. Innerhalb von zwei Tagen hatte er einen Gesetzesvorschlag ausgearbeitet, und bevor das alte Jahr zu Ende war, wurde der Vorschlag nach der üblichen Diskussion und Abstimmung als lex Domitia de sacerdotiis verabschiedet. Nach diesem Gesetz sollten die neuen Priester und Auguren in Zukunft nicht mehr von den übrigen Priestern berufen, sondern statt dessen von einer besonderen Versammlung gewählt werden. Jedermann konnte sich zur Wahl aufstellen lassen.
    »Frech«, sagte der Pontifex maximus Metellus Delmaticus zu Scaurus, »einfach frech!«
    Aber Scaurus lachte nur, bis ihm die Tränen kamen. »Oh, Lucius Caecilius, du mußt zugeben, daß er uns wunderbar an unseren pontifikalen Nasen herumgeführt hat!« Er wischte sich die Augen. »Ich muß sagen, er ist mir jetzt viel sympathischer.«
    »Wenn der nächste von uns stirbt, wird er sich natürlich für die Wahl aufstellen lassen«, sagte Delmaticus mürrisch.
    »Und warum nicht? Er hat es sich verdient«, erwiderte Scaurus.
    »Was ist, wenn mein Platz wieder besetzt werden muß? Dann wird er Pontifex maximus !«
    »Was für eine wunderbare Rache für ihn«, sagte Scaurus ungerührt.
    »Ich habe gehört, er sei jetzt hinter Marcus Junius Silanus her«, sagte Metellus Numidicus.
    »Stimmt. Er will ihn für unbefugtes Beginnen eines Krieges gegen die Germanen in Gallia Transalpina belangen«, antwortete Delmaticus.
    »Mit dieser Klage kann er vor die Versammlung der Plebs gehen. Eine Klage wegen Hochverrat würde bedeuten, daß er vor die Zenturien müßte.« Scaurus pfiff anerkennend durch die Zähne. »Er ist wirklich schlau! Langsam beginne ich zu bedauern, daß wir ihn nicht in unserer Mitte haben.«
    »Ach, Unsinn!« sagte Metellus. »Du genießt nur jeden Augenblick dieses schauderhaften

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