MoR 01 - Die Macht und die Liebe
schwoll zu einem Orkan an. »Senatoren! Wie weit ist es mit dieser ehrwürdigen Institution gekommen, wenn ein neuer Senator, der gerade Quästor ist, die Unverschämtheit und die Dreistigkeit besitzt, seinen Vorgesetzten anzuklagen? Haben wir denn so wenig junge Römer, daß wir nicht einmal dreihundert Plätze mit Römern besetzen können? Ich bin schockiert! Ist dieser Pompeius Schielauge wirklich so unbeleckt von jeglichen Manieren, die man von einem Senator erwartet, daß er auch nur davon träumen kann, seinen Vorgesetzten anzuklagen? Wie tief sind wir gesunken, wenn wir dulden, daß Nullen wie Pompeius Schielauge ihre Hintern auf Senatorenstühlen ausbreiten? Wie kommt er überhaupt dazu, sich so aufzuführen? Ignoranz und schlechte Kinderstube, das ist es! Es gibt Dinge, eingeschriebene Väter, die tut man einfach nicht! Zum Beispiel seinen Vorgesetzten oder enge Verwandte anklagen, einschließlich der angeheirateten Verwandten. Das gehört sich einfach nicht! Das ist unfein, dreist, ordinär, vulgär, anmaßend, dumm - wir haben in unserer Sprache gar nicht genügend Schimpfwörter, um alle Mängel eines so lästigen Pilzes wie dieses Gnaeus Pompeius Strabo, dieses Pompeius Schielauge aufzuzählen!«
Von der Bank der Tribunen kam ein Zwischenruf. »Marcus Aemilius«, rief Lucius Cassius, »Willst du damit sagen, daß Titus Annius Albucius Lob für sein Verhalten verdient?«
Der Senatsvorsitzende richtete sich auf wie eine Kobra und spie die nächsten Worte förmlich aus: »Werd endlich erwachsen, Lucius Cassius! Hier geht es nicht um Titus Annius. Natürlich wird mit ihm in angemessener Weise verfahren werden, in seinem Fall also mit einer Anklage. Wird er für schuldig befunden, erhält er die Strafe, die das Gesetz vorschreibt. Aber hier geht es um die Form, das Protokoll, die Etikette - in einem Wort, Lucius Cassius, um Benehmen! Unser lästiger Pilz Pompeius Schielauge hat sich eines eklatanten Verstoßes gegen die Regeln des guten Benehmens schuldig gemacht!«
An alle gewandt, fuhr Scaurus fort: »Senatoren, ich beantrage, daß Titus Annius Albucius wegen verräterischer Umtriebe zur Rechenschaft gezogen wird. Aber zugleich soll der Stadtprätor den Quästor Gnaeus Pompeius Strabo in einem geharnischten Brief davon in Kenntnis setzen, daß er erstens unter keinen Umständen ermächtigt wird, seinen Vorgesetzten anzuklagen, und daß er zweitens das Benehmen eines Bauern hat.«
Die Senatoren klatschten einmütig Beifall, was eine Abstimmung überflüssig machte.
Daraufhin meldete sich Lucius Marcius Philippus zu Wort. Scaurus’ versteckter Hinweis, Marius habe seine Dienste gekauft, hatte ihn gekränkt. »Gaius Memmius«, sagte er, und sein Näseln ließ an seiner aristokratischen Herkunft keinen Zweifel aufkommen, »meiner Meinung nach sollte der Senat gleich jetzt einen Ankläger für Titus Annius Albucius bestimmen.«
»Irgendwelche Einwände?« fragte Memmius und sah sich um.
Es gab keine Einwände.
»Gut«, fuhr Memmius fort, »dann ist der nächste Punkt der Tagesordnung, daß der Senat in der Sache Staat gegen Titus Annius Albucius einen Ankläger bestellt. Vorschläge zur Person des Anklägers?«
»Mein Teurer Gaius Memmius«, näselte Philippus, »es kommt nur eine Person in Frage!«
»Heraus mit der Sprache, Lucius Marcius.«
»Nun ja, unser gelehrter junger Rechtsanwalt Caesar Strabo. Ich denke doch, wir sollten Titus Annius nicht ganz um den Genuß bringen, von einer Stimme aus seiner Vergangenheit verfolgt zu werden! Ich meine, sein Ankläger sollte auch schielen!«
Der ganze Senat brach in Gelächter aus, und Scaurus lachte am lautesten von allen. Als die Senatoren sich wieder beruhigt hatten, sprachen sie sich einmütig für den schielenden jungen Gaius Julius Caesar Strabo, den jüngeren Bruder des Catulus Caesar und des Lucius Caesar, als Ankläger von Titus Annius Albucius aus. Damit rächten sie sich auf sprechende Weise an Pompeius Strabo.
Als Pompeius Strabo den geharnischten Brief des Senats erhielt - Gaius Memmius hatte noch eine Abschrift von Scaurus’ Rede dazugelegt, um Salz in die Wunden zu streuen -, wußte er Bescheid. Er schwor sich, es den blasierten Herren Senatoren eines Tages gründlich heimzuzahlen, dann nämlich, wenn nicht mehr er auf sie angewiesen war, sondern sie auf ihn.
Trotz des erbitterten Kampfes, den Scaurus und Metellus Numidicus führten, konnten sie in der Volksversammlung nicht genügend Wähler auf ihre Seite bringen, um zu verhindern,
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