MoR 01 - Die Macht und die Liebe
meinte.
Wenn der junge Caepio an Arausio dachte, fühlte er sich immer schuldig. Während Drusus, Sertorius, Sextus Caesar und sogar dieser Silo auf dem Schlachtfeld gelegen hatten, von den anderen bereits als tot aufgegeben, hatte er das Hasenpanier ergriffen und war über den Fluß geflohen und um sein Leben gerannt wie der geringste proletarische Rekrut seiner Legion. Natürlich hatte er darüber kein Wort verlauten lassen, nicht einmal gegenüber seinem Vater. Es war des jungen Caepios schreckliches Geheimnis. Trotzdem fragte er sich jeden Tag, wenn er Drusus begegnete, wieviel Drusus wußte.
Seine Frau Livia Drusa saß im Wohnzimmer, auf den Knien ihre kleine Tochter, die sie gerade gestillt hatte. Seine Ankunft rief auf ihrem Gesicht wie stets ein Lächeln hervor. Eigentlich hätte ihn das freuen sollen, aber das tat es nicht. Die Augen seiner Frau widersprachen ihrem Mund: Sie lächelten nie und zeigten nie irgendein Interesse. Der junge Caepio hatte festgestellt, daß seine Frau ihn nie anschaute, wenn sie zu ihm sprach oder ihm zuhörte, nicht einmal einen kurzen Augenblick. Trotzdem hatte kein Mann je eine freundlichere, fügsamere Frau gehabt. Nie war sie zu müde oder fühlte sich unwohl, wenn er sie begehrte, und sie fand sich mit allem ab, was er dann von ihr verlangte. Natürlich sah er bei solchen Gelegenheiten ihre Augen nicht. Warum war er sich dann so sicher, daß darin nicht die leiseste Spur von Vergnügen zu entdecken war?
Ein klarsichtigerer, intelligenterer Mann hätte Livia Drusa deswegen sanft zurechtgewiesen, aber der junge Caepio neigte dazu, alles seiner Einbildung zuzuschreiben. Dabei reichte seine Einbildungskraft nicht einmal aus, um zu verstehen, daß er gar keine besaß. Zwar war er sich bewußt, daß irgend etwas von Grund auf nicht stimmte, aber soviel er auch nachdachte, er fand nicht heraus, was das war. Nie wäre er darauf verfallen, daß sie ihn nicht liebte, obwohl er vor ihrer Heirat überzeugt gewesen war, daß sie eine ausgeprägte Abneigung gegen ihn hatte. Aber das hatte er sich gewiß nur eingebildet. Sie konnte keine Abneigung gegen ihn gehabt haben, wenn sie jetzt eine so vorbildliche römische Ehefrau war. Also - mußte sie ihn lieben.
Seine Tochter Servilia war für ihn mehr ein Gegenstand als ein menschliches Wesen, und er war sehr enttäuscht, daß seine Frau ihm keinen Sohn geschenkt hatte. Er setzte sich hin, während Livia Drusa dem Baby ein paarmal über den Rücken strich und es dann dem makedonischen Kindermädchen übergab.
»Wußtest du übrigens, daß dein Bruder bei den Konsulwahlen für Gaius Marius gestimmt hat?« fragte Caepio.
Livia Drusas Augen weiteten sich. »Nein. Bist du sicher?«
»Das hat er heute zu Quintus Caecilius Metellus Numidicus gesagt. Ich stand daneben. Dann hat er noch etwas von Arausio geschwafelt. Ich wollte, die Feinde meines Vaters würden Arausio endlich ruhen lassen!«
»Das kommt mit der Zeit, Quintus Servilius.«
»Aber es wird immer schlimmer«, sagte der junge Caepio düster.
»Bist du zum Essen da?«
»Nein, ich muß gleich wieder weg. Ich esse bei Lucius Licinius Orator. Marcus Livius ist auch da.«
»Ach so«, sagte Livia Drusa leise.
»Tut mir leid, ich wollte es dir heute morgen sagen, aber ich habe es vergessen.« Der junge Caepio stand auf. »Es macht doch nichts, oder?«
»Nein, natürlich nicht.« Die Stimme seiner Frau war ausdruckslos.
Dabei machte es ihr sehr wohl etwas aus. Nicht weil sie sich nach der Gesellschaft ihres Mannes gesehnt hätte, sondern weil ein wenig mehr Voraussicht seinerseits Geld und Küchenarbeit hätte sparen helfen. Sie wohnten bei dem alten Caepio, der sich ständig über die Höhe der Haushaltsrechnungen beklagte und Livia Drusa vorwarf, eine verschwenderische Hausfrau zu sein. Der alte Caepio wäre allerdings genausowenig wie sein Sohn auf den Gedanken gekommen, Livia Drusa im voraus zu sagen, wann er zum Essen da war, und so mußte Livia Drusa jeden Tag ein vollständiges Essen kochen lassen, auch wenn dann keiner zu Hause war und das Essen fast unberührt in die Küche zurückging, zur großen Freude der Sklaven.
»Soll ich das Baby ins Kinderzimmer bringen, domina ?« fragte das makedonische Mädchen.
Livia Drusa schreckte aus ihren Gedanken auf und nickte. Sie bedachte die Kleine nicht einmal mit einem flüchtigen Blick, als das Kindermädchen sie hinaustrug. Daß sie die kleine Servilia stillte, geschah keineswegs aus Sorge um das Gedeihen ihrer Tochter,
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