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MoR 01 - Die Macht und die Liebe

MoR 01 - Die Macht und die Liebe

Titel: MoR 01 - Die Macht und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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sondern weil sie wußte, daß sie nicht wieder ein Kind empfangen konnte, solange sie stillte.
    Sie machte sich nicht viel aus der kleinen Servilia. Jedesmal, wenn sie den kleinen Wurm ansah, sah sie eine Miniaturausgabe des Vaters - seine kurzen Beine, seine tiefschwarzen Haare, schwarzer Flaum auf Rücken, Armen und Beinen und dichte schwarze Borsten auf dem Kopf, die tief in Stirn und Nacken wuchsen wie das Fell eines Tieres. In Livia Drusas Augen besaß die kleine Servilia keinerlei Vorzüge, oder vielmehr nahm sie die Vorzüge gar nicht erst wahr, obwohl sie keineswegs zu verachten waren: Das Mädchen versprach eine Schönheit zu werden mit seinen großen, schwarzen Augen und dem winzigen, wie eine Rosenknospe geformten Mund, der ein Geheimnis zu verschließen schien.
    Die achtzehn Monate ihrer Ehe hatten Livia Drusa nicht mit ihrem Schicksal versöhnt, auch wenn sie kein einziges Mal gegen die Befehle ihres Bruders verstoßen hatte. Ihr Benehmen war untadelig, auch während der häufigen sexuellen Begegnungen mit dem jungen Caepio. Ihre hohe Abstammung und ihr hoher gesellschaftlicher Rang verboten glücklicherweise schon von selbst, daß sie die Avancen ihres Mannes leidenschaftlich erwiderte. Der junge Caepio wäre entsetzt gewesen, wenn sie plötzlich ekstatisch aufgestöhnt oder sich im Bett herumgeworfen hätte, als genieße sie den Akt wie eine Kurtisane. So genügte sie ihrer Pflicht, wie es sich für eine Frau ihres Standes ziemte - flach auf dem Rücken ausgestreckt, die Hüften reglos, in unerschütterlicher Demut und mit einem genau dosierten Maß an Wärme. Aber wie schwer ihr das fiel! Schwerer als alles andere in ihrem Eheleben. Denn wenn ihr Mann sie berührte, hätte sie am liebsten geschrieen über diese Schändung und Vergewaltigung und sich in sein Gesicht erbrochen. Sie empfand keinen Funken Mitleid für den jungen Caepio, der eigentlich nichts getan hatte, was ihre leidenschaftliche Abneigung gegen ihn rechtfertigte. Er und ihr Bruder Drusus waren inzwischen zu einem einzigen Schatten verschmolzen, der drohend über ihr hing und ihr das Leben noch viel unerträglicher machen konnte, wenn sie sich nicht fügte. Niedergedrückt von einer schrecklichen Angst, schleppte sie sich durch die Tage dem Tod entgegen, und jeden Tag wußte sie, daß sie nie erfahren würde, was es hieß zu leben.
    Am schlimmsten war die isolierte Lage des Hauses. Das Haus von Servilius Caepio lag auf der dem Circus Maximus zugewandten Seite des Palatin. Man sah auf den Aventin hinüber und hatte unter sich statt anderer Häuser nur einen steilen, felsigen Hang. Sie konnte nicht mehr wie im Haus ihres Bruders von der Loggia Ausschau halten, ob sich auf dem Balkon des darunterliegenden Hauses ihr rothaariger Odysseus blicken ließ.
    Der alte Caepio war ein unausstehlicher Mensch und wurde mit jedem Tag unausstehlicher. Er hatte nicht einmal eine Frau, die Livia Drusas Bürde hätte erleichtern können, und Livia Drusa hatte ein so distanziertes Verhältnis zu ihm und zu seinem Sohn, daß sie nie den Mut aufbrachte, einen der beiden zu fragen, ob die Frau des einen und Mutter des anderen noch lebte oder schon tot war. Natürlich verschlechterte sich die Laune des alten Caepio mit der Zeit noch mehr durch die Folgen der Katastrophe von Arausio. Zuerst hatte man ihm sein Amt weggenommen, dann hatte der Volkstribun Lucius Cassius Longinus ein Gesetz erwirkt, das ihm den Sitz im Senat aberkannte, und jetzt verging kaum ein Monat, in dem nicht irgendein tatendurstiger Möchtegerndemagoge versuchte, ihn unter einem fadenscheinigen Vorwand wegen Verrat vor Gericht zu bringen. Durch den Haß des Volkes und seinen eigenen ausgeprägten Selbsterhaltungstrieb buchstäblich auf sein Haus beschränkt, verbrachte er einen Großteil der Zeit damit, Livia Drusa zu beobachten - und schonungslos zu kritisieren.
    Livia Drusa ihrerseits trug durch ungeschicktes Benehmen noch zur Verschlimmerung der Lage bei. Eines Tages machte die ständige Überwachung durch ihren Schwiegervater sie so wütend, daß sie in den Garten des Peristyls marschierte, wo sie keiner hören konnte, und dort laut mit sich selber sprach. Gerade als die Sklaven sich unter den Säulen versammelten und flüsternd darüber debattierten, was Livia Drusa wohl vorhatte, stürmte der alte Caepio aus seinem Arbeitszimmer, das Gesicht hart wie Feuerstein.
    Er eilte auf dem Gartenweg auf sie zu und baute sich zornig vor ihr auf. »Was glaubst du, was du hier tust, Mädel?«

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