MoR 01 - Die Macht und die Liebe
was er getan haben will, dann war er kein Kind mehr, als sein Vater starb. In diesem Fall hätte er gelogen. Wie auch immer, er stellte sich nach seinem Verkauf in die Sklaverei jedenfalls so geschickt an und machte sich bei seinem Besitzer so beliebt, daß er nach dem Tod des Familienoberhaupts nicht nur freigelassen wurde, sondern auch den gesamten Familienbesitz erbte, da es keine leiblichen Erben gab. Er hatte eine hervorragende Erziehung genossen, deshalb steckte er das ererbte Geld in Geschäfte. Im Lauf der nächsten Jahre diente er in den Legionen und machte dort ein Vermögen. Wenn man ihn reden hört, hält man ihn für fünfzig, aber er sieht eher aus wie dreißig.
In den Legionen lernte er einen Mann kennen, der viel Aufhebens wegen seiner Ähnlichkeit mit Tiberius Gracchus machte. Nun hatte Lucius Equitius schon immer gewußt, daß er Italiker war und kein Ausländer, und er hatte, wie er sagt, schon oft darüber nachgedacht, wer seine Eltern gewesen sein mochten. Ermutigt durch die Entdeckung, daß er wie Tiberius Gracchus aussah, spürte er das Sklavenehepaar auf, bei dem Cornelia ihn eine Weile untergebracht hatte, und von ihnen erfuhr er die Geschichte seiner Herkunft. Ist das nicht herrlich? Ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich es für eine griechische Tragödie oder eine römische Posse halten soll.
Natürlich versetzte er unsere gutgläubigen, sentimentalen Forumsbesucher in helle Aufregung, und ein oder zwei Tage später wurde er bereits überall als Sohn des Tiberius Gracchus gefeiert. Jammerschade, daß dessen eheliche Söhne alle tot sind, was? Lucius Equitius ist Tiberius Gracchus übrigens tatsächlich bemerkenswert ähnlich - es ist schon fast unheimlich. Er spricht genauso, geht genauso, macht dieselben Grimassen und bohrt sogar genauso in der Nase. Ich glaube, was mich am meisten mißtrauisch gegen Lucius Equitius macht, ist die zu perfekte Übereinstimmung. Das ist schon ein Zwilling, kein Sohn. Ich habe wiederholt feststellen können, daß Söhne ihren Vätern nicht in allem ähneln, und nicht wenige Frauen, die mit einem Sohn niederkommen, sind dafür zutiefst dankbar und behaupten dem Vater gegenüber steif und fest, ihr Sproß sei Großonkel Lucius Sowieso wie aus dem Gesicht geschnitten. Aber lassen wir das!
Als nächstes müssen wir alten Herren vom Senat dann erleben, wie Saturninus diesen Lucius Equitius unter seine Fittiche nimmt und ihn auf die Rednerbühne holt und ermutigt, sich eine Anhängerschaft aufzubauen. Es vergeht kaum eine Woche, da ist Equitius schon der Held sämtlicher Einwohner Roms, die weniger verdienen als ein Beamter des Schatzamtes und mehr als ein Proletarier. Sämtlicher Händler, Ladenbesitzer, Handwerker und Kleinbauern der Dritten, Vierten und Fünften Klasse also. Du kennst diese Menschen. Sie beten den Boden an, über den einst die Gracchen schritten. Es sind ehrliche, hart arbeitende Menschen, die in ihren Tribus nicht oft wählen, aber oft genug, um sich freigelassenen Sklaven und Proletariern deutlich überlegen zu fühlen. Die Sorte, die zu stolz ist, um von Almosen zu leben, aber auch nicht reich genug, um astronomische Getreidepreise zu überleben.
Den Senatsvätern, besonders denen mit dem Purpurstreifen an der Toga, wurde langsam etwas mulmig bei so viel Verehrung. Sie machten sich regelrecht Sorgen, zumal ja auch Saturninus irgendwie seine Hand im Spiel hatte, auch wenn keiner genau weiß, wie. Aber was konnte man tun? Schließlich wartete ausgerechnet unser neuer pontifex maximus Ahenobarbus mit einem Vorschlag auf - er hat übrigens einen neuen, überaus treffenden Spitznamen: Pimmel. Er schlug vor, die Schwester der Gracchen, die Witwe des Scipio Aemilianus - ihre ehelichen Streitereien sind uns ja bis heute unvergessen -, solle zum Forum gebracht und auf der Rednerbühne dem vermutlichen Betrüger gegenübergestellt werden.
Vor drei Tagen war es dann soweit. Saturninus stand etwas abseits und grinste wie ein Idiot - nur daß er keiner ist, aber was führt er dann im Schilde? -, Lucius Equitius starrte das verhutzelte Weiblein verwirrt an. Ahenobarbus waltete seines Amtes als pontifex maximus , packte Sempronia an der Schulter - das hatte sie allerdings gar nicht gern, sie schüttelte ihn ab wie eine haarige Spinne - und fragte sie donnernd: »Tochter des Tiberius Sempronius Gracchus und der Cornelia Africana, kennst du diesen Mann?«
Natürlich keifte sie, sie habe ihn nie in ihrem Leben gesehen und ihr innig geliebter
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