MoR 01 - Die Macht und die Liebe
vier Augen sprechen.«
Die Zenturionen wandten sich um und verließen den Raum, die Militärtribunen und Catulus Caesars Adjutanten folgten, schließlich verschwanden auch die Legaten. Als Catulus Caesar mit Sulla allein im Raum war, kehrte er zu seinem Stuhl zurück und ließ sich schwer darauf niederfallen.
Catulus Caesar steckte in einem Dilemma. Sein Stolz hatte ihn die Etsch hinaufgeführt - nicht der Stolz auf Rom oder auf sein Heer, sondern sein persönlicher Stolz, der ihn auch zu dem Schwur veranlaßt hatte, kein germanischer Fuß dürfe italienischen Boden berühren. Und nun verhinderte eben dieser Stolz, daß er zurückwich, weder um Roms noch um seines Heeres willen. Je weiter er in das Tal eingedrungen war, desto deutlicher hatte er gespürt, daß er einen Fehler beging. Doch er war zu stolz gewesen, den Fehler einzugestehen. Mit jedem Schritt in das Flußtal hinein war sein Mut gesunken. Doch erst in Tridentum hatte er erkannt, wie sehr der Ort den Thermopylen glich - obwohl er natürlich, geographisch betrachtet, keine Ähnlichkeit mit jener historischen Stätte aufwies -, und von da an hatte Catulus Caesar nur noch über einen ehrenvollen Tod für alle nachgedacht. Ein solcher Tod hätte seine Ehre, seinen fatalen persönlichen Stolz unbefleckt gelassen. Wie der Name Thermopylen für alle Zeiten in die Erinnerung eingegraben war, so würde auch Tridentum unvergeßlich werden. Der Untergang der tapferen Wenigen, die von den gewaltigen Vielen geschlagen wurden. Fremder, kommst du nach Rom, verkündige dorten, du habest uns hier liegen gesehen, wie das Gesetz es befahl! Und man hätte ein prächtiges Mahnmal errichtet, Pilgerreisen veranstaltet und unsterbliche epische Gedichte darüber verfaßt.
Der Anblick der Kimbern, die sich in den nördlichen Teil des Tals ergossen, hatte Catulus Caesar auf den Weg der Vernunft gebracht, Sullas Worte hatten dann endgültig den Ausschlag gegeben. Denn natürlich hatte auch Catulus Caesar Augen im Kopf und hinter den Augen ein Gehirn, wenn auch ein Gehirn, das allzu leicht vom Gedanken an seine persönliche dignitas umwölkt wurde. Die Augen hatten die vielen Terrassen bemerkt, die aus den steilen grünen Berghängen riesige Treppen machten. Und das Gehirn hatte sich ausgemalt, wie schnell die Kimbern das römische Heer einkreisen konnten. Dies war keine Schlucht mit beiderseits jäh abfallenden Felsen, es war einfach ein enges Alpental, für den Aufmarsch einer Armee völlig ungeeignet, weil die Wiesenhänge so steil anstiegen, daß die Truppen nicht in Kampfordnung hinaufmarschieren konnten, von schnellen Ausfällen ganz zu schweigen.
Catulus Caesar sah allerdings keine Möglichkeit, wie er sich aus seinem Dilemma befreien konnte, ohne das Gesicht zu verlieren. Zuerst war ihm Sullas Auftritt bei der Lagebesprechung als perfekte Lösung erschienen: Er hätte ihn der Meuterei beschuldigen und ihn im Senat lautstark anklagen können, er hätte ihn und jeden beteiligten Offizier bis hin zum letzten Zenturio wegen Verrat vor Gericht bringen können. Aber diesen Gedanken hatte er sofort wieder verworfen. Meuterei war nach den Regeln des Militärs zwar das schwerste Verbrechen, doch eine Meuterei, in der er allein gegen alle anderen Offiziere stand - denn Catulus Caesar hatte sehr wohl bemerkt, daß sich keiner der Männer im Raum der Meuterei verweigert hätte -, sah doch eher danach aus, als habe hier die Vernunft über eine monumentale Dummheit gesiegt. Wenn es niemals ein Arausio gegeben hätte - wenn Caepio und Mallius Maximus nicht auf alle Zeiten die Vorstellung von der absoluten Befehlsgewalt des römischen Feldherrn in den Augen des römischen Volkes besudelt hätten -, dann wäre es vielleicht anders gewesen. Doch so begriff Catulus Caesar schon kurz nach Sullas Auftritt, daß die Schmach ihn, Catulus Caesar, treffen würde, wenn er in der Öffentlichkeit darauf bestünde, daß eine Meuterei gegen ihn stattgefunden habe. Schlimmstenfalls würde er sogar selbst vor den neuen Gerichtshof für Verrat gestellt werden, den Saturninus geschaffen hatte.
Infolgedessen holte Quintus Lutatius Catulus Caesar tief Luft und schickte sich zu einer versöhnenden Geste an. »Wir wollen jetzt nicht mehr von Meuterei reden, Lucius Cornelius«, sagte er. »Du hattest keinen Grund, deine Meinung so öffentlich kundzutun. Du hättest mich persönlich aufsuchen sollen. Dann hätten wir nämlich diese Angelegenheit unter uns regeln können.«
»Das glaube ich nicht, Quintus
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