MoR 01 - Die Macht und die Liebe
Sulla und steckte sein Schwert wieder in die Scheide. »Aber wann ist eine Meuterei wirklich eine Meuterei, Quintus Lutatius? Wie weit muß ein Soldat seinem Feldherrn in blindem Gehorsam folgen? Ist es wirklich wahrer Patriotismus, willig in den Tod zu gehen, wenn der Befehlshaber ein militärischer Vollidiot ist?«
Es war offenkundig, daß Catulus Caesar nicht wußte, was er auf diese brutale Aufrichtigkeit antworten sollte. Er war zu stolz, um sich in wüsten Beschimpfungen zu ergehen, und fühlte sich zu sehr im Recht, um diese Behauptung einfach so hinzunehmen. Schließlich erwiderte er kühl und würdevoll: »Das ist ungeheuerlich, Lucius Cornelius!«
Sulla nickte. »Richtig, es ist ungeheuerlich. Unsere Anwesenheit hier in Tridentum ist ungeheuerlich. Morgen werden die Kimbern Hunderte von Pfaden entdecken, die die Rinder, Schafe, Pferde und Wölfe in die Berghänge getrampelt haben. Nicht eine Anopaia, sondern Hunderte! Du bist kein Spartaner, Quintus Lutatius, sondern ein Römer, und es wundert mich, daß du bei den Thermopylen an die Spartaner denkst und nicht an die Römer! Hast du nicht gelernt, daß Cato der Zensor den Anopaia-Pfad wählte, um die Stellung des Königs Antiochos zu umgehen? Oder hielt dein Lehrer Cato den Zensor für nicht hochgeboren genug, um als Beispiel für etwas anderes als nur für hybris zu dienen? Wenn ich an die Thermopylen denke, bewundere ich Cato den Zensor, nicht Leonidas und seine Königsgarde, die bis auf den letzten Mann aufgerieben wurde! Die Spartaner nahmen den Tod in Kauf, um die Perser so lange aufzuhalten, bis die griechische Flotte bei Artemisium in See stechen konnte. Nur klappte das nicht, Quintus Lutatius. Es - klappte - nicht! Die griechische Flotte wurde vernichtet, und Leonidas starb umsonst. Und hat der Kampf bei den Thermopylen den Verlauf des Krieges gegen die Perser beeinflußt? Natürlich nicht! Als später die neue griechische Flotte bei Salamis siegte, hatte es zuvor keinen Kampf bei den Thermopylen gegeben. Willst du wirklich behaupten, daß du den selbstmörderischen Heldenmut eines Leonidas der strategischen Genialität eines Themistokles vorziehst?«
»Du verkennst die Situation«, sagte Catulus Caesar steif. Dieser rothaarige, trickreiche Odysseus hatte seinen Stolz verletzt. In Wahrheit ging es Catulus Caesar jetzt vor allem darum, sich mit unbeschädigter dignitas und auctoritas aus dieser Zwangslage zu retten, das Schicksal seines Heeres oder das der Kimbern interessierte ihn weit weniger.
»Nein, Quintus Lutatius, du verkennst die Situation!« sagte Sulla. »Dein Heer steht jetzt aufgrund meiner Meuterei unter meinem Befehl. Gaius Marius«, Sulla legte eine kleine Pause ein, um den Namen wirken zu lassen, »Gaius Marius hat mir nur einen einzigen Auftrag gegeben: Ich muß sicherstellen, daß dieses Heer unversehrt bleibt, bis er selbst den Befehl übernehmen kann. Und das kann er erst tun, wenn er die Teutonen geschlagen hat. Gaius Marius ist unser Oberbefehlshaber, Quintus Lutatius, und in diesem Moment gehorche ich seinem Befehl, nicht deinem. Wenn sein Befehl in Konflikt mit deinem Befehl steht, befolge ich seine Anweisung, nicht deine. Wenn ich zulasse, daß diese törichte Eskapade weitergeht, wird dieses Heer tot auf dem Schlachtfeld von Tridentum zurückbleiben. Aber es wird kein Schlachtfeld von Tridentum geben. Dieses Heer wird sich heute nacht zurückziehen. Das ganze Heer. Es wird am Leben bleiben und erst dann kämpfen, wenn die Siegeschancen ungleich besser stehen.«
»Ich habe geschworen, daß kein germanischer Fuß italienischen Boden berühren wird!« sagte Catulus Caesar. »Ich bin noch nie wortbrüchig geworden!«
»Die Entscheidung liegt jetzt nicht mehr bei dir, Quintus Lutatius. Du kannst also nicht wortbrüchig werden.«
Quintus Lutatius Catulus Caesar gehörte zu jenen Senatoren aus den alten Geschlechtern, die sich weigerten, einen goldenen Ring als Zeichen der Senatorenwürde zu tragen, statt dessen hatte er den traditionellen eisernen Ring am Finger, wie früher alle Senatoren. Als Catulus Caesar nun seine Hand in einer herrischen Geste gegen seine Offiziere hob, die wie gebannt die Szene verfolgten, blitzte nicht ein gelber Strahl von seinem Zeigefinger, sondern nur ein dumpfer grauer Schein. Bisher hatten die Männer unbeweglich dagestanden, jetzt kam Bewegung in sie, und ein Aufseufzen lief durch die Reihen.
»Laßt uns allein!« befahl Catulus Caesar. »Wartet draußen. Ich will mit Lucius Cornelius unter
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