MoR 01 - Die Macht und die Liebe
waren. Die Germanen setzten ihren Weg talwärts fort, bis sie die fruchtbare Po-Ebene erreichten. Catulus Caesar hatte zunächst darauf bestanden, daß sich die Römer den Kimbern in der Nähe des Gardasees zum Kampf stellen sollten, aber Sulla, der jetzt das Heft fest in der Hand hielt, wollte nichts davon wissen. Statt dessen überredete er Catulus Caesar, jeder Stadt und jedem Dorf zwischen Aquileia im Osten und Comum und Mediolanum im Westen eine Nachricht zu senden: Alle römischen Bürger, alle latinischen Bürger und alle Gallier, die sich nicht mit den Germanen verbünden wollten, wurden aufgefordert, den nördlich des Po gelegenen Teil von Gallien unverzüglich zu verlassen. Die Flüchtlinge sollten nach Süden über den Po ziehen und Gallia Transpadana ganz den Kimbern überlassen.
»Die Germanen werden sich aufführen wie Schweine in einem Haufen von Eicheln«, erklärte Sulla, denn nicht umsonst hatte er ein Jahr unter Kimbern gelebt. »Wenn sie erst einmal Gefallen an den Weiden und an der friedlichen Landschaft zwischen dem Gardasee und dem Po gefunden haben, wird Boiorix seine Leute nicht mehr zusammenhalten können. Sie werden sich in alle Himmelsrichtungen zerstreuen, du wirst schon sehen.«
»Und sie werden plündern, zerstören, brandschatzen«, warf Catulus Caesar ein.
»Richtig. Sie werden aber auch vergessen, was sie hier eigentlich vorhatten, nämlich in Italien einzufallen. Nimm es nicht so schwer, Quintus Lutatius! Schließlich leben auf dieser Seite der Alpen fast nur Gallier, und die Germanen werden den Po nicht überqueren, bevor sie das Land nicht so abgenagt haben wie ein Verhungernder einen Hühnerknochen. Unsere eigenen Bürger werden dann längst weg sein und ihren Besitz in Sicherheit gebracht haben. Sie behalten ihr Land, wir holen es uns zurück, sobald Gaius Marius hier ankommt.«
Catulus Caesar jammerte zwar, aber er widersetzte sich nicht. Er wußte, wie schneidend Sullas Worte sein konnten - und er wußte nun auch, wie rücksichtslos Sulla sein konnte, wie kalt, wie unnachgiebig, wie entschlossen. Seltsam, daß Gaius Marius ihm vertraute, auch wenn man in Rechnung stellte, daß sie Schwäger waren. Oder besser gewesen waren. Hatte sich Sulla auch seiner Julilla entledigt? fragte sich Catulus Caesar. Er hatte reichlich Zeit gehabt, über Sulla nachzudenken, und dabei war ihm ein Gerücht eingefallen, das unter den Brüdern und Familien des Hauses Caesar kursiert hatte, als der bis dahin völlig unbekannte Sulla so überraschend ins öffentliche Leben getreten war und seine Julilla aus dem Geschlecht der Julier geheiratet hatte. Dem Gerücht zufolge war er zu Geld gekommen, weil er seine - Mutter? - Stiefmutter? - Geliebte? - seinen Neffen? umgebracht hatte. Nun, sobald ich nach Rom zurückkehre, beschloß Catulus Caesar, werde ich mich sehr eingehend nach diesem Gerücht erkundigen. Nicht um es offen gegen ihn zu verwenden und auch nicht sofort, sondern nur, um in Zukunft besser vorbereitet zu sein, zum Beispiel, wenn sich Lucius Cornelius Hoffnungen auf die Prätur machen sollte. Noch nicht, wenn er Ädil werden will - die Freude soll er noch genießen und sich dabei ruinieren dürfen. Aber wenn er Prätor werden will, dann.
Catulus Caesar wußte, daß er die Nachricht von dem Fehlschlag im Etschtal sofort nach Rom melden mußte, sobald seine Legionen das Lager bei Verona erreicht hatten, denn er vermutete, daß Sulla unverzüglich Gaius Marius in Kenntnis setzen würde. Es war deshalb wichtig, daß Rom zuerst seine, Catulus Caesars, Version der Ereignisse zu hören bekam. Da sich beide Konsuln auf Feldzügen befanden, mußte die Nachricht für den Senat an den Senatsvorsitzenden gerichtet werden, und so schickte Catulus Caesar seinen Bericht an den Senatsvorsitzenden Marcus Aemilius Scaurus, zusammen mit einem privaten Brief, in dem er die Ereignisse wahrheitsgemäß schilderte. Beide Botschaften, den offiziellen Bericht und den privaten Brief, versiegelte er mehrfach und übergab sie dann dem jungen Scaurus, dem Sohn des princeps senatus , mit dem Auftrag, sie so schnell wie möglich nach Rom zu bringen.
»Er ist der schnellste Reiter, den wir haben«, erklärte er Sulla ganz unbefangen.
Sulla blickte Catulus Caesar mit jenem ironischen, spöttischen Ausdruck an, den er bereits bei ihrem Gespräch über die Meuterei gezeigt hatte. »Quintus Lutatius, du bist von einer einzigartigen, raffinierten Grausamkeit, wie sie mir noch nie vorgekommen ist.«
»Willst du den
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