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MoR 01 - Die Macht und die Liebe

MoR 01 - Die Macht und die Liebe

Titel: MoR 01 - Die Macht und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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und furchtloser Legat wie Sulla dabeigewesen war und die wertvollen Truppen gerettet hatte.
    Aber Scaurus hatte immer gehofft, daß sein Sohn in einer schier ausweglosen, lebensbedrohlichen Situation jenen Mut, jene Kühnheit finden würde, die nach seiner Überzeugung in jedem Mann schlummerten. Zumindest in jedem Mann mit dem Namen Aemilius. Dieser Junge war sein einziger Sohn - sein einziges Kind. Nun würde sein Familienname in Unehre, in Schande enden! Und wohl zu Recht, wenn sein Sohn - sein einziges Kind! - ein solcher Versager war.
    Scaurus atmete tief ein und faßte einen Entschluß. Er würde keinen Versuch unternehmen, die Sache zu verbergen, zu entschuldigen, reinzuwaschen oder zu zerreden. Das konnte er getrost Catulus Caesar überlassen. Sein Sohn hatte sich als Feigling erwiesen, er hatte seine Soldaten in einer Stunde der größten Gefahr verlassen, auf eine erniedrigende und weit feigere Art, als wenn er nur geflohen wäre - er hatte buchstäblich in die Hosen geschissen und war dann ohnmächtig geworden. Seine Soldaten hatten ihn retten müssen, wo doch er sie hätte retten müssen. Scaurus war entschlossen, diese Schande mit all dem Mut zu ertragen, den er immer besessen hatte. Mochte sein Sohn die Verachtung der ganzen Stadt wie Peitschenhiebe zu spüren bekommen!
    Die Tränen versiegten, sein Gesicht nahm wieder einen normalen, entschlossenen Ausdruck an. Er klatschte in die Hände. Als der Verwalter eintrat, fand er seinen Herrn aufrecht auf dem Stuhl sitzend, die Hände lagen locker gefaltet auf dem Tisch.
    »Marcus Aemilius, dein Sohn wünscht dich dringend zu sprechen«, sagte der Verwalter. Es war ihm klar, daß etwas nicht stimmte, denn der junge Herr benahm sich eigenartig.
    »Du wirst dem jungen Herrn mitteilen«, sagte Scaurus steif, »daß ich ihn verstoße, aber daß ich ihm seinen Namen lassen werde. Mein Sohn ist ein Feigling - ein jämmerlicher, bleichgesichtiger Bastard -, aber Rom soll diesen Feigling unter seinem wirklichen Namen verachten. Ich will ihn niemals wiedersehen, solange ich lebe. Sag ihm das. Und sage ihm auch, daß er dieses Haus niemals wieder betreten darf, auch nicht als Bettler an der Tür. Sag ihm das! Sag ihm, daß er mir nie mehr unter die Augen kommen soll! Geh, sag es ihm!«
    Der Verwalter war so erschrocken, daß er zitterte und um den jungen Herrn weinte, denn er mochte ihn gern. Jederzeit in den zurückliegenden zwanzig Jahren hätte er dem Vater sagen können, daß sein Sohn keinen Mut besaß, keine Stärke, keine Entschlossenheit. Und nun mußte er dem jungen Scaurus die Worte seines Vaters überbringen.
    »Ich danke dir«, sagte der junge Scaurus und schloß die Tür hinter dem Verwalter, aber verriegelte sie nicht.
    Als sich der Verwalter einige Stunden später wieder in das Zimmer des jungen Scaurus wagte, weil der Vater wissen wollte, ob sein Sohn das Haus bereits verlassen hatte, fand er den Sohn tot auf dem Boden. Er hatte sein Schwert gegen sich selbst gerichtet.
    Aber Marcus Aemilius Scaurus, der princeps senatus , blieb seinem Wort treu. Sein Sohn durfte ihm nicht mehr unter die Augen kommen, weder lebend noch tot. Im Senat listete er mit gewohnter Energie und Geistesschärfe die Fehlschläge im italischen Gallien auf und verschwieg auch nicht die gräßliche Geschichte von der Feigheit und dem Selbstmord seines Sohnes. Er erzählte sie ungeschminkt, ersparte sich und den Senatoren nichts und zeigte keine Trauer.
    Nach der Sitzung zwang er sich, auf den Treppen des Senatsgebäudes auf Metellus Numidicus zu warten. Hatten die Götter möglicherweise ihm so viel Mut zugemessen, daß in dieser Familie für seinen Sohn nichts mehr übriggeblieben war? Und es kostete ihn allen Mut, den er besaß, hier auf Metellus Numidicus zu warten, während die Senatoren an ihm vorübereilten - manche warfen ihm mitleidige Blicke zu, ängstliche, verlegene Blicke, aber keiner blieb bei ihm stehen.
    »Oh, mein lieber Marcus!« rief Metellus Numidicus, sobald niemand mehr ihr Gespräch belauschen konnte. »Mein lieber, lieber Marcus, was soll ich dazu nur sagen?«
    »Was meinen Sohn betrifft, am besten gar nichts«, erwiderte Scaurus. Wie gut war es doch, Freunde zu haben! »Was die Germanen betrifft, müssen wir überlegen, wie wir eine Panik in Rom verhindern!«
    »Oh, über Rom brauchst du dir nicht den Kopf zu zerbrechen«, sagte Metellus Numidicus leichthin. »Rom wird überleben. Es mag heute, morgen und übermorgen eine Panik geben, aber schon am nächsten

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