MoR 02 - Eine Krone aus Gras
nächsten Ort mit Halbbürgerrecht. Einwohner der Provinz mußten sich beim Statthalter melden. Dies erfordert unter Umständen eine weite Reise, und eine solche Strapaze nehmen nur die in Kauf, denen es besonders wichtig ist. Die anderen verschieben es aufs nächste Mal und hoffen, daß die Volkszählungsbeamten sie aus den alten in die neuen Listen übertragen, was diese meistens auch tun.«
»Das weiß ich doch alles«, entgegnete Drusus geduldig.
»Egal. Dann hörst du es dir eben noch einmal an. Unsere beiden neuen Zensoren, Marcus Livius, sind ein seltsames Gespann. Ich habe Antonius Orator nie für besonders fähig gehalten, aber wenn man an den Feldzug denkt, den er gegen die Seeräuber führen mußte, dann kann er doch nicht so unfähig sein. Und was Lucius Valerius, den Konsular und Priester des Kriegsgottes Mars betrifft, dann muß ich immer daran denken, wie er im letzten Amtsjahr des Saturninus versagt hat, als Gaius Marius zu krank zum Regieren war. Wie dem auch sei, irgendein Talent hat jeder, heißt es. Und nun stellt sich heraus, daß Lucius Valerius ein Talent für — sagen wir — Logistik hat. So kann man es wahrscheinlich nennen. Als ich heute durch das Collinische Tor kam und über den unteren Teil des Forums ging, stand plötzlich Lucius Valerius vor mir.« Silo riß seine seltsamen Augen weit auf und holte theatralisch Luft. »Du kannst dir wahrscheinlich vorstellen, wie mir zumute war, als er ausgerechnet mich grüßte und mich fragte, ob ich einen Moment Zeit hätte. Mich, einen Italiker! >Selbstverständlich<, antwortete ich, >jederzeit<. Es stellte sich heraus, daß er von mir die Namen von Marsern mit römischem Bürgerrecht wissen wollte, die bereit wären, bei römischen Bürgern und Bürgern mit latinischem Bürgerrecht im Gebiet der Marser die Volkszählung durchzuführen. Ich stellte mich dumm, und so bekam ich schließlich heraus, um was es ging. Sie, also er und Antonius Orator, wollen die Volkszählung von eigens dazu berufenen Volkszählungsbeamten durchführen lassen. Die Beamten sollen Ende dieses und Anfang nächsten Jahres ganz Italien und das italische Gallien bereisen und die Bürgerlisten vervollständigen. Laut Lucius Valerius fürchten eure neuen Zensoren, daß durch das bisherige System der Volkszählung viele römische Bürger in den ländlichen Gebieten unberücksichtigt bleiben, weil sie sich nicht die Mühe machen, sich in die Bürgerlisten eintragen zu lassen. Was sagst du dazu?«
»Was soll ich dazu sagen?« fragte Drusus verständnislos. »Na ja, das ist doch logisch gedacht, Marcus Livius.«
»Sicher. Logisch und vernünftig. Aber ich verstehe trotzdem nicht, warum du darüber so in Aufregung gerätst.«
»Mein lieber Drusus, wenn wir Italiker mit diesen sogenannten Volkszählungsbeamten zu tun bekommen, dann können wir sicherstellen, daß sie eine große Zahl von verdienten Italikern in die Bürgerlisten eintragen. Nicht jeden Beliebigen, beileibe nicht. Aber Männer, die von Rechts wegen schon lange das römische Bürgerrecht hätten bekommen sollen.« Silo bemühte sich, überzeugend zu klingen.
»Aber das geht doch nicht«, entgegnete Drusus mit strenger Miene. »Das wäre nicht richtig und nicht legal.«
»Vom moralischen Standpunkt ist es durchaus richtig.«
»Hier geht es nicht um Moral, Quintus Poppaedius. Hier geht es um Recht und Gesetz. Jeder fälschlicherweise in die römischen Bürgerlisten Eingetragene wäre illegaler Römer. Ich kann das nicht unterstützen, und du solltest es auch nicht tun. Also, kein Wort mehr darüber!« Und entschieden fügte Drusus hinzu: »Denk noch einmal darüber nach, und du wirst sehen, daß ich recht habe.«
Silo musterte seinen Freund eingehend, dann warf er verzweifelt die Arme hoch und rief: »Verflucht nochmal, Marcus Livius! Es wäre so verdammt einfach!«
»Und würde schnell auffliegen. Du würdest die falschen Bürger damit der geballten Wucht des römischen Gesetzes aussetzen. Ihnen droht die Prügelstrafe, und sie würden auf schwarze Listen gesetzt und müßten hohe Strafen bezahlen.«
Silo seufzte und zuckte resigniert die Schultern. »Also gut, ich verstehe, worauf du hinaus willst. Aber es war trotzdem eine gute Idee.«
»Nein, es war eine schlechte Idee.« Und von diesem Standpunkt ließ sich Marcus Livius Drusus nicht mehr abbringen.
Silo entgegnete nichts mehr, aber als es in dem Haus, das nach Livia Drusas Auszug ohnehin fast leer war, gegen Abend still wurde, folgte er, ohne es zu
Weitere Kostenlose Bücher