MoR 02 - Eine Krone aus Gras
Weise ruhig. Nicht für alles Gold oder Silber der Welt hätte sich Sulla in den Augen seines geliebten Sohnes erniedrigt.
Das Jahr neigte sich dem Ende zu. Sulla sah, daß seine Chancen ständig geringer wurden, und er mußte damit fertig werden, daß er sich weder an Metrobius noch an Aurelia wenden konnte. Geduldig hörte er dem aufschneiderischen Gerede des jungen Cicero zu, und sein eigener Sohn wurde ihm immer lieber. Freimütig eröffne- te Sulla dem wunderbar verständigen und nachsichtigen Jungen auch jene Einzelheiten seines Lebens vor dem Tod seiner Stiefmutter, die er eigentlich nie einem Mitglied seiner eigenen Klasse hatte anvertrauen wollen. Der Junge nahm die Erzählungen begierig auf, weil sie das Bild eines Lebens und einer Person zeichneten, die der junge Sulla nie kennenlernen würde. Das einzige Detail seines Lebens, das Sulla nicht enthüllte, war das nackte Ungeheuer mit scharfen Krallen, das nur dazu gut war, den Mond anzuheulen. Dieses Ding, sagte er sich, gab es nicht mehr.
Als der Senat die Provinzen verteilte — in diesem Jahr geschah dies Ende November —, kam alles so, wie Sulla es erwartet hatte. Gaius Sentius’ Statthalterschaft in Macedonia wurde verlängert, ebenso die des Gaius Valerius Flaccus in Hispania Citerior und die des Publius Scipio Nasica in Hispania Ulterior. Lucius Valerius Flaccus erhielt die Provinz Asia. Man bot Sulla an, unter den Statthalterschaften in Africa, Sizilien oder Sardinien und Korsika zu wählen, aber Sulla lehnte dankend ab. Lieber gar keine Statthalterschaft als eine in der Wüste! Bei den Konsulwahlen in zwei Jahren würden die Wähler genau prüfen, welche Statthalterschaften die Kandidaten als Prätoren übernommen hatten. Africa, Sizilien oder Sardinien und Korsika würde sie nicht beeindrucken.
Doch dann warf Fortuna ihre Verkleidung wieder ab und zeigte ihre ganze, glorreiche Liebe zu Sulla. Im Dezember traf ein offenbar in panischer Angst verfaßtes Schreiben des Königs Nikomedes von Bithynien ein, der König Mithridates beschuldigte, ganz Asia Minor, vor allem aber Bithynien erobern zu wollen. Und fast gleichzeitig traf aus Tarsos die Nachricht ein, daß Mithridates an der Spitze eines großen Heeres in Kappadokien eingefallen sei und weitermarschieren wolle, bis er ganz Kilikien und Syrien seinem Herrschaftsbereich einverleibt habe. Scaurus Princeps Senatus zeigte sich erstaunt und schlug vor, einen Statthalter nach Kilikien zu entsenden. Truppen könne Rom dem Statthalter zwar nicht zur Verfügung stellen, aber er könne finanziell so gut ausgerüstet werden, daß er notfalls Truppen unter den Einheimischen anwerben könne. Scaurus war ein eingefleischter Römer — Mithridates hatte ihn falsch eingeschätzt, wenn er glaubte, Scaurus durch ein paar Briefe und einen Beutel Gold völlig unter seine Kontrolle gebracht zu haben. Scaurus konnte derartige Briefe bedenkenlos verbrennen, wenn er Rom einer solchen Bedrohung ausgesetzt sah. Kilikien war verwundbar — und wichtig. Obwohl Rom nicht regelmäßig Statthalter nach Kilikien entsandte, betrachtete es die Provinz doch als Eigentum.
»Schickt Lucius Cornelius Sulla nach Kilikien«, riet Gaius Marius, als man ihn um Rat bat. »Er bewährt sich am besten in ausweglosen Situationen. Er kann ein Heer aufstellen und ausrüsten und ist ein guter Feldherr. Wenn irgend jemand die Situation retten kann, dann ist das Lucius Cornelius.«
»Ich bin Statthalter!« verkündete Sulla seinem Sohn, als er von der Senatsversammlung im Tempel der Bellona nach Hause kam.
»Nein! Wo denn?« fragte der junge Sulla eifrig.
»Kilikien. Ich soll König Mithridates von Pontos zurückschlagen.«
»Oh, tata, das ist ja wunderbar!« Doch dann fiel dem Jungen ein, dies die Trennung bedeutete. Einen Augenblick lang traten Trauer und Schmerz in seinen Blick, dann schluchzte er kurz auf und blickte seinen Vater mit jener Mischung aus Achtung und Vertrauen an, die Sulla so sehr rührte und die ihn geradezu beschämte. »Ich werde dich natürlich vermissen, aber ich freue mich so sehr für dich, Vater.« Jetzt sprach der künftige Erwachsene; er nannte Sulla nicht mehr tata, sondern Vater.
Sullas blasse, kalte Augen waren hell von unvergossenen Tränen, und sein Blick erwiderte die Achtung und das Vertrauen seines Sohnes. Dann lächelte er liebevoll. »Aber warum denn so traurig? Du glaubst doch nicht, daß ich ohne dich gehe? Du kommst natürlich mit.«
Der Junge schluchzte wieder, diesmal vor Freude. Dann trat
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